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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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durchgekocht als im Brode und hat außerdem den Gährungsproceß nicht durchgemacht; meines Erachtens sind Brodsuppe und Reisschleim vorzuziehen. Will man aber durchaus Brei kochen, so ist es rathsam, das Mehl vorher ein wenig zu rösten. In meinem Lande bereitet man aus solchem gedörrten Mehle eine sehr angenehm schmeckende und gesunde Suppe. Bouillon und Fleischsuppen sind ebenfalls für Kinder keine sehr empfehlenswerthe Nahrungsmittel, deren Genuß man so viel als möglich beschränken muß. Man muß sein Augenmerk darauf richten, daß sich die Kinder sogleich ans Kauen gewöhnen;das ist das eigentlichste und richtigste Mittel den Durchbruch der Zähne zu erleichtern. Beginnen sie erst das Gekaute hinunterzuschlucken, so befördert der sich mit den Speisen mischende Speichel wesentlich die Verdauung.
    Ich würde sie deshalb sogleich an trockenen Früchten und Brodrinden kauen lassen und ihnen zum Spielen Stückchen harten Brodes oder Zwieback geben, ähnlich dem in Piemont gebräuchlichen Brode, welches dort unter dem Namen Grisse bekannt ist. Während sie dieses Brod in ihrem Munde erweichen, würden sie auch ein wenig davon verschlucken; ehe man sich dessen versähe, wären die Zähne durchgebrochen und die Kinder entwöhnt. Die Landleute haben gewöhnlich einen sehr guten Magen, und man hat sie nur auf die beschriebene Weise entwöhnt.
    Die Kinder hören von ihrer Geburt an sprechen; man spricht nicht allein zu ihnen, bevor sie verstehen, was man ihnen sagt, sondern selbst bevor sie die Laute, welche sie vernehmen, wiederzugeben vermögen. Ihr noch in einer Art Erstarrung liegendes Sprachorgan gebraucht geraume Zeit, bis es die Fähigkeit erlangt, die vorgesprochenen Töne nachzuahmen, und es ist noch nicht einmal sicher, ob das kindliche Ohr sie von Anfang an eben so deutlich vernimmt wie das unsrige. Ich mißbillige es keineswegs, daß die Amme das Kind durch Lieder und durch fröhliche Töne zu erheitern sucht; aber das mißbillige ich, daß sie es durch einen Schwall überflüssiger Worte, von denen es nichts als den darauf gelegten Ton versteht, unablässig betäubt. Ich wünschte, daß die ersten Laute, welche man das Kind vernehmen läßt, genau articulirt, leicht faßbar und deutlich wären, häufig wiederholt würden, und daß die Worte, die sie bezeichnen, sich nur auf sichtbare Gegenstände bezögen, welche man sogleich dem Kinde zeigen könnte. Die nicht genug zu beklagende Leichtfertigkeit, uns mit leidigen Worten abzuspeisen, die uns doch unverständlich bleiben, beginnt früher als man denkt. Der Schüler hört in der Klasse das Gespräch seines Schulmonarchen an, wie er in den Windeln das Geplauder seiner Amme anhörte. Mir kommt es so vor, als ob es sehr weislich sein würde,ihn so zu erziehen, daß er für dergleichen gar kein Verständniß hätte.
    Unwillkürlich werden sich uns vielfache Betrachtungen aufdrängen, wenn wir uns mit der Entstehung der Sprache und ersten Gespräche der Kinder beschäftigen. Wie man es auch immer anstellen möge, sie werden stets auf die nämliche Weise sprechen lernen, und alle philosophischen Speculationen sind hierbei völlig überflüssig.
    Von Anfang an haben sie gleichsam eine besondere Grammatik für ihr Alter, deren Syntax weit allgemeinere Regeln hat als die unsrige, und wenn man seine Aufmerksamkeit darauf richten wollte, würde man sich über die Genauigkeit wundern, mit welcher sie sich nach gewissen Analogien richten, allerdings sehr fehlerhaften, wenn man will, die aber trotzdem sehr regelrecht sind und uns nur wegen ihrer Härte oder weil sie gegen den Sprachgebrauch verstoßen, mißfallen. Neulich hörte ich, wie ein armes Kind von seinem Vater ausgescholten wurde, weil es zu ihm gesagt hatte: Mein Vater, soll ich gehen hin? (Mon père, irai je-t-y?) Nun kann man aber gerade daraus ersehen, daß dieses Kind der Analogie weit besser folgte als unsere Grammatiker; denn da man zu ihm sagte: »Gehe hin! (vas-y!) warum sollte es nun nicht auch sagen: »Soll ich gehen hin?« Dabei lasse man nicht außer Acht, mit welcher Geschicklichkeit es den Hiatus von irai-je-y? oder y irai-je? zu vermeiden wußte. Ist es nun etwa die Schuld des armen Kindes, daß wir ganz unnöthiger Weise das bestimmende Adverbium »hin« aus dieser Phrase fortgelassen haben, weil wir damit nichts anzufangen wußten? Es ist eine unausstehliche Pedanterie und völlig überflüssige Mühe, sich darauf zu steifen, bei den Kindern unaufhörlich alle die kleinen Sprachschnitzel zu

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