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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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einem tugendhaften Menschen erzogen. Wer indeß blos gut ist, bleibt es nur so lange, als er Gefallen daran findet. Im Sturme der menschlichen Leidenschaften scheitert die Güte und geht zu Grunde. Der Mensch, der blos gut ist, zeigt diese Güte nur gegen sich.«
    »Wer ist demnach ein tugendhafter Mensch? Derjenige, der seine Neigungen zu bezähmen versteht. Denn alsdann dient ihm seine Vernunft, sein Gewissen zur Richtschnur; er thut seine Pflicht, bleibt auf dem für richtig erkanntenWege und nichts vermag ihn von demselben zu entfernen. Bis jetzt warst du nur scheinbar frei, du besaßest nur die unsichere Freiheit eines Sklaven, der noch keinen Befehl erhalten hat. Von nun an sei in Wirklichkeit frei! Lerne dein eigener Herr werden! Gebiete deinem Herzen, Emil, und du wirst tugendhaft sein.«
    »Wiederum hast du also eine neue Lehrzeit durchzumachen, und diese Lehrzeit ist mühseliger als die erste, denn die Natur befreit uns zwar von den Leiden, die sie selbst uns auferlegt, oder lehrt sie uns wenigstens ertragen, aber sie gibt uns kein Mittel gegen diejenigen an die Hand, welche ihre Quelle in uns selbst haben; in Bezug auf diese überläßt sie uns ganz uns selbst. Sie gibt zu, daß wir als Opfer unserer Leidenschaften unseren grundlosen Schmerzen unterliegen und uns sogar noch der Thränen rühmen, über die wir weit eher erröthen sollten.«
    »Zum ersten Male ist jetzt deine Leidenschaft erwacht. Es ist vielleicht die einzige, welche deiner würdig ist. Verstehst du es, sie als Mann zu beherrschen, so wird sie auch die letzte sein. Alle übrige wirst du bezwingen und nur dem Ansporn der Tugend gehorchen.«
    »In dieser Leidenschaft liegt, wie ich sehr wohl weiß, nichts Verbrecherisches. Sie ist eben so rein wie die Seelen, die sie empfinden. Die Einsamkeit bildete sie und die Unschuld gab ihr Nahrung. Glückliche Liebende! In euch gesellen sich die Reize der Tugend zu denen der Liebe, und das süße Band, das eurer wartet, ist nicht weniger der Lohn eurer Sittsamkeit als der eurer Zuneigung. Aber sage mir, du aufrichtiger Mensch, hat dich diese an sich so reine Leidenschaft deshalb weniger unterjocht? Bist du weniger ihr Sklave geworden? Und würdest du, wenn sie morgen aufhörte, unschuldig zu sein, sie von morgen an ersticken? Schon jetzt, in diesem Augenblicke, gilt es deine Kräfte zu versuchen; es ist zu spät dazu, wenn es darauf ankommt, sie anzuwenden. Es ist nothwendig, daß diese gefährlichen Versuche fern von der Gefahr angestellt werden. Man übt sich nicht erst dem Feinde gegenüber im Kampfe. Noch vor dem Kriege rüstet man sich zudemselben. Nach vollendeter Rüstung tritt man dem Feinde erst entgegen.«
    »Es ist eine irrthümliche Anschauung, wenn man zwischen erlaubten und verbotenen Leidenschaften unterscheidet, um sich den ersteren hinzugeben und die letzteren zu bekämpfen. Alle sind gut, sobald man ihrer Herr bleibt, alle sind dagegen auch wieder schlecht, sobald man sich ihrer Herrschaft unterwirft. Die Natur verbietet uns nun, unsere Neigungen über das Maß unserer Kräfte auszudehnen, die Vernunft verbietet das zu wollen, was wir nicht erreichen können, während das Gewissen zwar nicht verbietet, daß die Versuchung an uns herantritt, wol aber, daß wir uns von derselben besiegen lassen. Es steht nicht in unserm eigenen Belieben, Leidenschaften zu haben oder nicht zu haben, aber es hängt von uns ab, über sie zu herrschen. Alle Empfindungen, welche wir beherrschen, sind berechtigt, alle aber, die uns beherrschen, sind sündhaft. In der Liebe eines Mannes zu dem Weibe eines andern liegt nichts Strafbares, wenn er sich durch diese unglückliche Leidenschaft nicht verleiten läßt, das Gesetz der Pflicht zu verletzen; er macht sich aber durch die Liebe zu seiner eigenen Frau strafbar, wenn er der Liebe Alles opfert.«
    »Erwarte von mir keine weitschweifige moralische Lehren; ich habe dir nur eine einzige zu geben, welche alle übrige in sich schließt. Sei ein Mensch, laß dein Herz die Schranken deiner menschlichen Stellung nicht überschreiten. Erforsche und erkenne diese Schranken. Wie eng sie auch sein mögen, so ist man doch nie unglücklich, so lange man innerhalb derselben bleibt. Erst dann wird man es, wenn man sie überschreiten will, erst dann, wenn man in seinen unsinnigen Begierden das Unmögliche für möglich betrachtet, seine menschliche Stellung vergißt, um in einer Traumwelt zu leben, aus der man doch immer wieder in das Reich der Wirklichkeit zurücksinkt. Die

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