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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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einzigen Güter, deren Entbehrung uns schmerzlich ist, sind diejenigen, auf welche wir ein Anrecht zu besitzen glauben. Die augenscheinliche Unmöglichkeit, in ihren Besitz zu gelangen, lenkt unsere Gedanken von ihnen ab. Hoffnungslose Wünsche vermögen uns nicht zu martern. Einen Bettler ficht derWunsch, König zu sein, wenig an. Ein König wird nur danach streben, Gott zu sein, wenn er nicht mehr Mensch zu sein glaubt.«
    »Die Illusionen des Stolzes sind die Quelle unserer größten Uebel. Die Betrachtung des menschlichen Elends macht den Weisen dagegen stets maßvoll. Er verharrt auf der ihm angewiesenen Stelle und bereitet sich keine Unruhe mit dem fruchtlosen Wunsche, aus ihr herauszutreten. Er vergeudet seine Kräfte nicht mit dem vergeblichen Streben, sich den Genuß dessen zu verschaffen, was er sich doch nicht erhalten kann, und indem er sie sämmtlich darauf verwendet, seines wirklichen Besitzes froh zu werden, wächst seine Macht und sein Reichthum in Wahrheit um so viel, als er weniger denn wir erstrebt. Kann ich sterbliches und vergängliches Wesen wol auf dieser Erde, wo Alles wechselt und vergeht, und von der ich morgen wieder verschwinden werde, ewige Bande knüpfen? O Emil, o mein Sohn, was würde mir noch bleiben, wenn ich dich verlöre? Und dennoch muß ich mich mit dem Gedanken an deinen Verlust vertraut machen, denn wer weiß, wie bald du mir entrissen wirst.«
    »Willst du folglich glücklich und weise leben, so hänge dein Herz nur an die Schönheit, welche nie vergeht. Richte deine Wünsche nach deinen Verhältnissen, ordne deine Neigungen deinen Pflichten unter, unterwirf auch das Moralische dem Gesetze der Nothwendigkeit. Lerne verlieren, was dir entrissen werden kann, lerne auf Alles verzichten, wenn es die Tugend erheischt, dich über die Ereignisse hinwegsetzen, dein Herz von ihnen lösen, ohne daß sie es zerreißen, lerne muthig sein unter Widerwärtigkeiten, damit du nie elend werdest, und fest in deiner Pflicht, damit du dich nie strafbar machst. Dann wirst du dem Schicksal zum Trotz glücklich und den Leidenschaften zum Trotz weise sein; dann wirst du sogar im Besitze vergänglicher Güter eine Freude empfinden, die nichts zu stören vermag. Du wirst sie besitzen, ohne daß sie dich besitzen, und du wirst fühlen, daß der Mensch, dem doch Alles entgleitet, nur das recht genießt, was er zu verlieren weiß. Es ist freilich wahr, daß dir die Illusionen eingebildeter Freudenverloren gehen, dafür wirst du aber auch von den Schmerzen verschont bleiben, die ihre Frucht sind. Du wirst bei diesem Tausche viel gewinnen, denn während jene Freuden selten und nichtig sind, sind diese Schmerzen häufig und wirklich. Nachdem du so viele trügerische Meinungen zurückgewiesen hast, wirst du auch derjenigen siegreich widerstehen, welche dem Leben einen zu hohen Werth beilegt. Du wirst das deinige ohne Unruhe zurücklegen und es ohne Schrecken beenden. Du wirst dich von ihm eben so wie von allem Uebrigen losreißen. Mögen Andere, von Schrecken ergriffen, dem Wahne huldigen, daß sie mit dem Austritt aus dem Leben zu sein aufhören, du wirst vielmehr, da du dich von der Nichtigkeit desselben überzeugt hast, fest glauben, daß das wahre Leben jetzt erst beginnt. Der Tod bildet für den Bösen des Lebens Ende, für den Gerechten den eigentlichen Anfang.«
    Emil hört mich mit einer von Unruhe gemischten Aufmerksamkeit an. Er besorgt einen traurigen Schluß dieser Einleitung. Ihm ahnt, daß ich ihm die Notwendigkeit, die Seelenkraft zu üben, nur vorhalte, um ihn darauf vorzubereiten, daß ich ihn dieser harten Uebung unterwerfen will. Wie ein Verwundeter zittert, sobald er den Wundarzt nahen sieht, so glaubt er auf seiner Wunde schon die schmerzende, wenn auch heilsame Hand zu fühlen, die ihn von dem Verderben zurückhält.
    Ungewiß, beunruhigt und ungeduldig zu erfahren, was ich eigentlich im Schilde führe, fragt er mich, anstatt zu antworten, obwol mit einiger Bangigkeit. »Was muß ich thun?« beginnt er fast zitternd, und ohne zu wagen, die Augen zu mir zu erheben. »Was du thun mußt?« erwidere ich festen Tones, »du mußt Sophie verlassen.« – »Was sagen Sie?« ruft er leidenschaftlich aus, »Sophie verlassen! Sie verlassen, sie hintergehen, ein Verräther an ihr werden, ein Schurke, ein Meineidiger!« – »Wie?« versetze ich, ihn unterbrechend, »mir kannst du zutrauen, daß ich dich anhalten werde, dir solche Namen zu verdienen?« – »Nein,« entgegnet er mit derselben

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