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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Verzeihung, fortwährendes Bestürmen mit Fragen, Verlegenheit beim Antworten jedes Geständniß entreißen, das man nur verlangt, und man glaubt sie überzeugt zu haben, während man sie nur ermüdet oder eingeschüchtert hat.
    Was folgt daraus? Zunächst flößt ihr ihnen dadurch, daß ihr ihnen eine Pflicht auferlegt, die sie als solche nicht empfinden, Widerwillen gegen eure Tyrannei ein, und verscherzet ihre Liebe; sodann lehrt ihr sie heucheln, lügen und trügen, um dadurch von euch Belohnungen zu erpressen oder sich Strafen zu entziehen; endlich liefert ihr ihnen dadurch, daß ihr sie gewöhnt, einen geheimen Beweggrund durch einen scheinbaren zu verdecken, selbst das Mittel, euch unaufhörlich zu hintergehen, euch in Unkenntniß ihres wahren Charakters zu erhalten und euch und Andere gelegentlich mit leeren Worten abzuspeisen. Die Gesetze, werdet ihr entgegnen, üben, obgleich sie für das Gewissen verbindlich sind, bei den Erwachsenen ebenfalls einen Zwang aus. Das räume ich ein. Aber was sind denn diese Menschen anders als durch die Erziehung verdorbene Kinder? Unddas ist es gerade, was man verhüten muß. Kindern gegenüber geziemt sich Gewalt, Männern gegenüber Vernunft; das bringt die Ordnung der Natur mit sich; der Weise bedarf keiner Gesetze.
    Behandelt euren Zögling, wie es sein Alter verlangt. Weiset ihm von Anfang an seine Stellung an, und haltet ihn so fest darin, daß er nicht einmal den Versuch wagt, aus derselben herauszutreten. Bevor er weiß, was Weisheit heißt, wird er dann schon die wichtigste Lehre derselben ausüben. Befehlet ihm nie etwas, was in aller Welt es auch sein möge, durchaus gar nichts. Laßt nicht einmal die Vorstellung in ihm aufkommen, daß ihr beanspruchtet, irgend eine Autorität über ihn zu besitzen. Er braucht nur das Bewußtsein zu haben, daß er schwach ist und ihr dagegen stark seid, daß er in Folge seiner, von der eurigen so wesentlich verschiedenen Lage notwendiger Weise von euch abhängig ist. Dies muß er wissen, muß er lernen, muß er empfinden. Frühzeitig schon fühle er auf seinem stolzen Haupte das schwere Joch, welches die Natur dem Menschen auferlegt, das drückende Joch der Nothwendigkeit, unter welches sich jedes endliche Wesen beugen muß. Er erblicke diese Nothwendigkeit aber in den Verhältnissen, nie in den Launen der Menschen; [7] zum Zügel, der ihn in Schranken hält, diene die Kraft, nicht die Autorität. Verbietet nicht erst lange, was er unterlassen soll, sondern hindert ihn einfach an der Ausführung desselben ohne weitläuftige Auseinandersetzungen und Erörterungen. Was ihr ihm erlaubt, erlaubet ihm auf sein erstes Wort, ohne euch erst dazu auffordern und bitten zu lassen, vor Allem aber ohne sie an Bedingungen zu knüpfen. Er merke es euch an, daß ihr ihm eine Erlaubniß mit Freuden ertheilt, ihm aber nur mit Widerstreben etwas abschlagt. Alle eure Verweigerungen müssen jedoch unwiderruflich sein; keine unausgesetzte Bestürmung mit derselben Bitte darf euch schwankend machen; das einmal ausgesprochene Nein mußdem Kinde als eine eherne Mauer gelten, welche es, hat es dagegen seine Kräfte erst fünf- oder sechsmal erschöpft, nicht mehr niederzureißen versuchen wird.
    Auf diese Weise werdet ihr es geduldig, sanft, gelassen und ruhig machen, selbst wenn es seinen Wunsch nicht erfüllt sieht; denn es liegt in der Natur des Menschen, zwar die durch die Verhältnisse bedingte Nothwendigkeit, nicht aber den Eigenwillen Anderer geduldig zu ertragen. Die Erklärung: »Es ist nichts mehr da«, ist eine Antwort, der gegenüber sich ein Kind noch nie widerspenstig gezeigt hat, falls es dieselbe nicht etwa für eine Lüge hielt. Uebrigens gibt es dabei keinen Mittelweg: entweder muß man gar keine Anforderungen an das Kind stellen, oder es von Anfang an an unweigerlichen Gehorsam gewöhnen. Die schlechteste Erziehung besteht in der gewährten Freiheit, zwischen seinem und eurem Willen zu schwanken, und in einem unaufhörlich zwischen ihm und euch stattfindenden Kampfe um die Herrschaft. Hundertmal lieber würde es mir sein, wenn das Kind dieselbe beständig ausübte.
    Sehr eigentümlich ist es, daß man, seitdem man sich mit der Erziehung der Kinder beschäftigt, noch kein anderes Mittel zu ihrer Leitung gefunden hat, als den Wetteifer, die Eifersucht, den Neid, die Eitelkeit, Erregung der Begierde, knechtische Furcht, lauter höchst gefährliche Leidenschaften, die ihre Seele in fortwährender Gährung erhalten und sie zu verderben

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