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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ungewohnte Weigerung wird ihm mehr Pein verursachen als die Entbehrung des ersehnten Gutes selbst. Anfangs wird es nur den Stock verlangen,den ihr gerade in der Hand habt; bald darauf wird es eure Uhr haben wollen; dann wird es den Vogel begehren, der vorüberfliegt, und nun wieder den Stern, den es leuchten sieht, kurz es wird Alles verlangen, worauf sein Blick fällt. Wie werdet ihr es nun zufrieden stellen können, wofern ihr nicht Gott seid?
    Der Mensch besitzt von Natur die Neigung, Alles, was in seiner Gewalt ist, als sein Eigenthum zu betrachten. In diesem Sinne ist der Grundsatz Hobbes: »Vermehrt zugleich mit unsren Wünschen auch die Mittel zu ihrer Befriedigung, und ein Jeder wird sich zum Herrn von Allem machen«, bis zu einem gewissen Grade wahr. Dennoch hält sich das Kind, das nur zu wollen braucht, um sofort zu erhalten, für den Besitzer des Weltalls; es betrachtet alle Menschen als seine Sklaven, und wenn man sich schließlich einmal genöthigt sieht, ihm irgend etwas zu verweigern, ihm, welches Alles für möglich hält, sobald es seine Befehle ertheilt, so faßt es diese Weigerung als einen Act von offener Auflehnung gegen seinen Willen auf; alle Gründe, die man ihm in einem Alter, das noch einer vernünftigen Anschauung verschlossen ist, entgegenhält, gelten in seinen Augen nur als Vorwände. Es sieht überall nur den bösen Willen, und da das Gefühl einer vermeintlichen Ungerechtigkeit sein Gemüth verbittert, so faßt es gegen alle Welt Haß, und während es jede Gefälligkeit ohne den geringsten Dank hinnimmt, erregt jeder Widerstand seinen Unwillen.
    Wie ließe sich nun denken, daß ein derartig vom Zorne beherrschtes und von unzähmbaren Leidenschaften verzehrtes Kind je glücklich sein könnte? Glücklich! Ein solches Kind! Es vereinigt in sich einen Despoten und zugleich den verächtlichsten Sklaven und die elendeste Kreatur! Ich habe so erzogene Kinder gesehen, welche in allem Ernste verlangten, man sollte das Haus umstoßen, ihnen den Wetterhahn holen, den sie auf einem Thurme wahrnahmen, ein Regiment im Marsche aufhalten, um die Trommel länger zu hören, und welche, ohne auf Jemand zu hören, ein durchdringendes Geschrei erhoben, sobald man ihnen zu gehorchen säumte; Alles beeiferte sich vergeblich um sie, und da die Leichtigkeit, mit der sie bisher alle ihre Wünsche hattenerfüllen sehen, ihre Begehrlichkeit nur immer mehr gesteigert hatte, so bestanden sie hartnäckig auf unmöglichen Dingen, und stießen überall nur auf Widerspruch, Hindernisse, Sorgen und Schmerzen. Beständig zänkisch, beständig eigensinnig, beständig ärgerlich, schrieen und klagten sie tagelang. Waren das etwa glückliche Wesen? Schwäche mit Herrschaft vereint erzeugt nur Thorheit und Elend. Von zwei verzogenen Kindern schlägt das eine den Tisch und das andere läßt das Meer geißeln; sie werden viel zu geißeln und zu schlagen haben, ehe sie zufrieden leben.
    Wenn dergleichen Anschauungen von Herrschaft und Tyrannei sie schon in früher Jugend elend machen, was wird dann erst geschehen, wenn sie heranwachsen und ihre Beziehungen zu den andern Menschen sich zu erweitern und zu vervielfältigen beginnen? Welche Ueberraschung für sie, die daran gewöhnt sind, sich Alles vor ihnen beugen zu sehen, bei ihrem Eintritte in die Welt wahrzunehmen, daß sie überall auf Widerstand stoßen, und sich von der Wucht dieses Weltalls, welches sie nach Belieben in Bewegung zu setzen gedachten, niedergeschmettert zu fühlen! Ihr übermüthiges Benehmen und ihre kindische Eitelkeit ziehen ihnen nur Demütigungen, Spott und Verachtung zu; überall sehen sie sich Kränkungen ausgesetzt. Peinliche Erfahrungen bringen sie nur zu bald zu der Einsicht, daß sie weder ihre Stellung noch ihre Kräfte kennen. Da sie nicht Alles vermögen, bilden sie sich schließlich ein gar nichts zu vermögen. So viele ungewohnte Hindernisse entmuthigen sie, so viele ihnen an den Tag gelegte Verachtung raubt ihnen alles Selbstvertrauen; sie werden feige, furchtsam, kriechend und sinken um so tiefer, je mehr sie sich überhoben hatten.
    Kommen wir jedoch wieder auf unsere Grundregel zurück. Die Natur hat sie so geschaffen, daß sie sich auf unsere Liebe und Pflege angewiesen sehen; oder hat sie sie etwa dazu bestimmt, daß wir ihnen gehorchen und sie fürchten sollen? Hat sie ihnen ein Achtung gebietendes Aussehen, einen strengen Blick, eine barsche und drohende Stimme gegeben, um uns Furcht einzuflößen? Ich finde es verständlich, daß

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