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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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daß man sie, wenn es die Notwendigkeit erfordert, ohne Gefahr verletzen kann. Gehet deshalb unbedachter Weise auch nicht so weit, euren Zögling dadurch zu verweichlichen, daß sein ruhiger Schlaf niemals gestört werden darf. Ueberlaßt ihn Anfangs getrost dem Gesetze der Natur, vergeßt aber dabei nicht, daß er, der einmal unseren Kreisen angehört, über diesem Gesetze stehen muß, daß er ohne große Mühe im Stande sein muß, sich spät zur Ruhe zu begeben, früh aufzustehen, plötzlich zu erwachen und Nächte schlaflos zuzubringen. Wenn man hiermit schon früh beginnt und stets allmählich und stufenweise fortschreitet, so bildet man den Körper durch dieselben Mittel aus, durch die man ihn zu Grunde richten würde, wollte man sie erst nach seiner vollendeten Entwicklung auf ihn anwenden.
    Es ist ebenfalls von Wichtigkeit, sich von früh auf anein hartes Lager zu gewöhnen. Darin liegt das Mittel, stets gut gebettet zu sein. Im Allgemeinen vervielfältigt eine harte Lebensweise, wenn sie uns einmal zur zweiten Natur geworden ist, die angenehmen Empfindungen, während uns eine weichliche eine ununterbrochene Reihe von Unannehmlichkeiten bereitet. Weichlich erzogene Leute finden nur auf Daunenbetten Schlaf; wer sich aber gewöhnt hat, auf Bretern zu schlafen, findet ihn überall. Für den, welcher sofort einschläft, wenn er sich niederlegt, gibt es kein hartes Bett.
    Ein weiches Bett, in welchem man sich förmlich in Federn oder Eiderdaunen vergräbt, erschlafft und löst den Körper gleichsam auf. Die allzu warm eingehüllten Nieren erhitzen sich. Daraus bildet sich der Stein oder andere Beschwerden, und unfehlbar wenigstens eine zarte Natur, die den Keim zu allen Krankheiten enthält.
    Das Bett ist unstreitig das beste, welches den erquickendsten Schlaf gewährt. Ein solches werden wir, Emil und ich, uns während des Tages bereiten. Man braucht uns keine persische Sklaven zu schicken, um uns unsere Betten zu machen. Der Landbau, den wir treiben, wird schon dafür sorgen, daß wir unsere Matratzen weich finden.
    Ich weiß aus Erfahrung, daß man es bei einem gesunden Kinde fast ganz in seiner Gewalt hat, dasselbe nach Belieben einzuschläfern oder wach zu erhalten. Wenn das Kind in sein Bett gelegt ist und es die Wärterin mit seinem Geplauder langweilt, so sagt sie zu ihm: »Schlaf!« Das ist gerade so, als wenn sie im Falle seiner Erkrankung zu ihm sagen wollte: »Sei gesund!« Das rechte Mittel, es in Schlaf zu bringen, besteht darin, es selbst zu langweilen. Sprecht so viel, daß es sich zu schweigen gezwungen sieht, und es wird binnen Kurzem einschlafen. Predigten sind immer zu etwas nutz; es in Schlaf reden ist besser als es einwiegen. Wollt ihr jedoch dieses Einschläferungsmittel trotzdem des Abends anwenden, so hütet euch wenigstens vor demselben bei Tage.
    Ich werde Emil bisweilen wecken, nicht sowol aus Besorgniß, daß er ein Langschläfer werden könnte, als vielmehr um ihn an Alles, selbst an eine plötzliche Störungseines Schlafes zu gewöhnen. Uebrigens würde ich wenig Fähigkeit für die mir gestellte Aufgabe besitzen, wenn ich ihn nicht dahin zu bringen vermöchte, von selbst zu erwachen und gleichsam nach meinem Belieben aufzustehen, ohne daß ich ihm erst ein einziges Wort sagte.
    Schläft er nicht lange genug, so deute ich an, daß der nächste Morgen sehr langweilig zu werden verspreche, und er selbst wird dann jeden Augenblick, den er davon verschlafen kann, als Gewinn betrachten. Schläft er dagegen zu lange, so stelle ich ihm ein Vergnügen nach seinem Sinne in Aussicht, welches seiner beim Aufstehen warte. Beabsichtige ich, daß er zu einer bestimmten Zeit erwache, so sage ich: »Morgen früh um sechs Uhr geht es auf den Fischfang«, oder »ich habe einen Spaziergang nach diesem oder jenem Orte vor. Willst du daran Theil nehmen?« Er erklärt sich dazu bereit und bittet mich, ihn zu wecken. Ich verspreche es, oder verspreche es auch nicht, wie es mir gerade am besten scheint. Erwacht er zu spät, so erfährt er, daß ich mich schon auf den Weg gemacht habe. Es sollte mich Wunder nehmen, wenn er nicht bald lernt, von selbst aufzuwachen.
    Sollte es übrigens vorkommen, ein Fall, der freilich sehr selten eintritt, daß ein träges Kind die Neigung verriethe, ganz in Faulheit zu verkommen, so darf man es diesem Hange, durch welchen es völlig erschlaffen würde, unter keinen Umständen überlassen, sondern muß irgend ein Reizmittel anwenden, das es aufzurütteln vermag.

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