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Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
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waren sie … verletzt? Verletzt. Krank. Sie hatten dich lieb. Aber natürlich. Aber sie konnten nicht. Es kommt manchmal vor, dass man etwas will, es aber zu schwer ist. Erfroren? In der Kälte? Nein, nein, sie waren nicht in Schottland, ich erklär’s dir … also sagten sie uns, nehmt ihr ihn. Wir. Ja. Er gehört euch. Wir lieben ihn. Wir lieben euch.
    Nein, man musste dich nicht mehr einpflanzen. Du warst schon draußen.
    Nein, du hattest noch keine Zähne.
    Ja, das bist du. Ganz sicher. Das bist du. Wie du damals ausgesehen hast.
    Das bin auch ich. Wir. Ja.
    Schau, hier im Spiegel ist Platz für uns beide. Rück ein bisschen zur Seite.
    Ja. Ja. Zusammen, ja. Immer. Immer.
    Nein, nein
    Nein, nein

Joel
    Nach Leas Tod ging es mit ihm bergab. Im Restaurant vergaß er zu zahlen. Wenn er alte Freunde traf, wusste er ihre Namen nicht mehr. Wer bist du, fragte er des Öfteren. Ja, alles gut und schön, sagte er, Aber
wer bist du
. Tat er nur, als ob? Wollte er Schmerz zufügen? In Bezug auf das Kind ging es in diesem ersten halben Jahr etwas besser. Ihm gegenüber veränderte sich kaum etwas. Als hätte er für den Jungen ein Stück des alten Joel bewahrt, wohl um ein normales Leben zu ermöglichen. Manchmal jedoch blickte er den Jungen an wie ein schweres Paket, das ein Unbekannter bei ihm hinterlassen hatte, oder wie Diebesgut, das man von einem Freund zur Weiterleitung übernommen hat, und man weiß, dass man gefasst werden wird, und möchte es am liebsten wegwerfen und sich aus dem Staub machen.
    Nur in wenigen, gezählten Augenblicken überkam es ihn anders. Schwarze Augenblicke, in denen er ihn dafür hasste, dass er
er
war. Dass er überhaupt auf der Welt war. Man hat dich reingelegt, dachte er. Da hast du aus Gefälligkeit ein Kind adoptiert, und was nun? Nun hängt es dir um den Hals wie ein Stein. Und du läufst wie ein Esel den ganzen Tag um den Mühlstein herum. Solche Bilder stiegen in ihm auf. Gezählte Sekunden lang. Gezählte Sekunden, in denen das tropfende Gift schwarz in den Adern floss und das Blut kontaminierte, die Seele auslöschte und in Motoröl verwandelte.
    Seine Seele verwandelte sich in Motoröl, mit dem man ein Auto hätte antreiben können. Bergauf, bergab. So dachte er. Und hätte es gerne jemandem mitgeteilt. Diese Erkenntnis über das Auto. Aber wem hätte er es sagen können? Womöglich Emil selbst?
    Seine alten Eltern riefen immer wieder an, ihre Fragen beantworte er kaum, nur mit ja oder nein, zumeist schwieg er. Auf Fragen, die nicht mit ja oder nein zu beantworten waren – und das traf auf die meisten zu –, antwortete er gar nicht. Sie luden ihn zu üppigen Mahlzeiten ein. Sie hatten doch einen Koch. Aber die Töpfe bei Joels Eltern blieben verschlossen und erkalteten. Die Auberginen zerplatzten im Ofen.
    Doch wenn Emil nach Hause kam, hüllte Joel sein Gesicht in eine Maske der Alltäglichkeit, die er mit ganzer Kraft festhielt, damit sie nicht plötzlich herunterfalle und enthülle, wer sich wirklich dahinter verbarg.
    Im Büro legte er einen Bauplan für eine Brücke vor. Einem Laien wäre der Plan schön und klar erschienen, doch hätte man eine Brücke danach gebaut, wäre es zu einer gewaltigen Katastrophe gekommen. Ein Glück, dass nicht danach gebaut wurde. Oder etwa doch?
    Bergab ging es mit ihm. Der Erdball schlitterte in den Bereich gefährlicher Schwerkraft. Die Sonne wurde von Tag zu Tag größer, röter, geblähter. Bereits nach vier Monaten schmorten die Ränder des Globus. Lokale Brände breiteten sich in der Atmosphäre aus.
    Sie ließ ihn nicht aus ihren Fängen. Sandte Fäden aus. Spinnfäden. Kabel. Schickte ihn wie einen Aufzug hinab. Immer wieder. Stockwerk für Stockwerk. Sie hatte viel Kraft in den Armen.
    Einmal brachte er eine andere Frau nach Hause. Er hatte sie auf der Straße gesehen und angesprochen. Eine schlechte Person war sie. Richtig böse. Ihrem Sohn zum Beispiel verabreichte sie ohne ärztliche Verschreibung Medikamente, auch wenn es unnötig war. Wenn es im Treppenhaus aus ihrem Müllsack getropft hatte, kam sie nicht etwa mit einem Lappen wieder, um aufzuwischen. Sie genoss es auch, dem alten Ehepaar über ihr in die Wohnung hinein zu rauchen. Streckte den Arm aus dem Fenster, sodass der Rauch zu ihnen ins Wohnzimmer drang. Die ganze Sache mit dem Frieden mit Ägypten hielt sie für schlecht. Krieg sei etwas Natürliches. Um überflüssige Menschen, und derer gebe es genug, aus der Welt zu schaffen. Auch hasste sie hebräische Literatur.

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