Emilia Galotti
deinem Nicolo! - Aber der Graf, der Graf -
ANGELO. Blitz! der Graf hatte ihn gut gefaßt.
Dafür faßt' ich auch wieder den Grafen! - Er stürzte; und wenn er noch lebendig zurück in 71
die Kutsche kam: so steh' ich dafür, daß er nicht lebendig wieder heraus kömmt.
MARINELLI. Wenn das nur gewiß ist, Angelo.
ANGELO. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiß ist! - Haben Sie noch was zu befehlen? denn mein Weg ist der weiteste: wir wollen heute noch über die Grenze.
MARINELLI. So geh.
ANGELO. Wenn wieder was vorfällt, Herr
Kammerherr, - Sie wissen, wo ich zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird für mich auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich, als jeder andere. (Geht ab)
MARINELLI. Gut das! - Aber doch nicht so recht gut. - Pfui, Angelo! so ein Knicker zu sein!
Einen zweiten Schuß wäre er ja wohl noch wert gewesen. - Und wie er sich vielleicht nun mar-tern muß, der arme Graf! - Pfui, Angelo! Das heißt sein Handwerk sehr grausam treiben; - und verpfuschen. - Aber davon muß der Prinz noch nichts wissen. Er muß erst selbst finden, wie zu-träglich ihm dieser Tod ist. - Dieser Tod! - Was gäb' ich um die Gewißheit!
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Dritter Auftritt
(Der Prinz. Marinelli)
DER PRINZ. Dort kömmt sie, die Allee herauf.
Sie eilet vor dem Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, beflügelt ihre Füße. Sie muß noch nichts argwohnen. Sie glaubt sich nur vor Räubern zu retten. - Aber wie lange kann das dau-ern?
MARINELLI.So haben wir sie doch fürs erste.
DER PRINZ. Und wird die Mutter sie nicht auf-suchen? Wird der Graf ihr nicht nachkommen?
Was sind wir alsdann weiter? Wie kann ich sie ihnen vorenthalten?
MARINELLI. Auf das alles weiß ich freilich noch nichts zu antworten. Aber wir müssen sehen. Gedulden Sie sich, gnädiger Herr. Der erste Schritt mußte doch getan sein. -
DER PRINZ. Wozu? wenn wir ihn zurücktun
müssen.
MARINELLI. Vielleicht müssen wir nicht. - Da sind tausend Dinge, auf die sich weiter fußen läßt. -Und vergessen Sie denn das Vornehmste?
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DER PRINZ. Was kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht gedacht habe? - Das Vornehmste?
MARINELLI. Die Kunst zu gefallen, zu überre-den, -die einem Prinzen, welcher liebt, nie fehlet.
DER PRINZ. Nie fehlet? Außer, wo er sie gerade am nötigsten brauchte. - Ich habe von dieser Kunst schon heut' einen zu schlechten Versuch gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteue-rungen konnt' ich ihr auch nicht ein Wort aus-pressen. Stumm und niedergeschlagen und zit-ternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil höret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit, und schloß mit einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau' ich mir, sie wieder an-zureden. - Bei ihrem Eintritte wenigstens wag'
ich es nicht zu sein. Sie, Marinelli, müssen sie empfangen. Ich will hier in der Nähe hören, wie es abläuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe.
Vierter Auftritt
(Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien)
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MARINELLI. Wenn sie ihn nicht selbst stürzen gesehen - Und das muß sie wohl nicht; da sie so fortge-eilet- Sie kömmt. Auch ich will nicht das erste sein, was ihr hier in die Augen fällt. (Er zieht sich in einen Winkel des Saales zurück) BATTISTA. Nur hier herein, gnädiges Fräulein.
EMILIA (außer Atem). Ah! - Ah! - Ich danke Ihm, mein Freund; - ich dank' Ihm. - Aber Gott, Gott! wo bin ich? - Und so ganz allein? Wo bleibt meine Mutter? Wo blieb der Graf? - Sie kommen doch nach? mir auf dem Fuße nach?
BATTISTA. Ich vermute.
EMILIA. Er vermutet? Er weiß es nicht? Er sah sie nicht? - Ward nicht gar hinter uns geschossen? -
BATTISTA. Geschossen? - Das wäre! -
EMILIA. Ganz gewiß! Und das hat den Grafen, oder meine Mutter getroffen. -
BATTISTA. Ich will gleich nach ihnen ausge-hen.
EMILIA. Nicht ohne mich. - Ich will mit; ich muß mit: komm Er, mein Freund!
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MARINELLI (der plötzlich herzu tritt, als ob er eben herein käme). Ah, gnädiges Fräulein! Was für ein Unglück, oder vielmehr, was für ein Glück, - was für ein glückliches Unglück verschafft uns die Ehre -
EMILIA (stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr? -
Ich bin also wohl bei Ihnen? - Verzeihen Sie, Herr Kammerherr.Wir sind von Räubern ohn-fern überfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hülfe; - und dieser ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen, und brachte mich hierher. - Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch in der
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