Emilia Galotti
Gefahr.
Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht tot; - und ich lebe? - Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß wieder hin, - wo ich gleich hätte bleiben sollen.
MARINELLI. Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein. Es stehet alles gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, für die Sie so viel zärtliche Angst empfinden. - Indes, Battista, geh', lauf: sie dürften vielleicht nicht wissen, wo das Fräulein ist. Sie dürften sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshäusern des Gartens 76
suchen. Bringe sie unverzüglich hierher. (Battista geht ab)
EMILIA. Gewiß? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts widerfahren? - Ah, was ist dieser Tag für ein Tag des Schreckens für mich! - Aber ich sollte nicht hier bleiben; ich sollte ihnen entgegen eilen -
MARINELLI. Wozu das, gnädiges Fräulein? Sie sind ohnedem schon ohne Atem und Kräfte.
Erholen Sie sich vielmehr, und geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist. -
Ich will wetten, daß der Prinz schon selbst um Ihre teuere ehrwürdige Mutter ist, und sie Ihnen zuführet.
EMILIA. Wer, sagen Sie?
MARINELLI. Unser gnädigster Prinz selbst.
EMILIA (äußerst bestürzt). Der Prinz?
MARINELLI. Er floh, auf die erste Nachricht, Ihnen zu Hülfe. - Er ist höchst ergrimmt, daß ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen Augen gleichsam, hat dürfen gewagt werden. Er läßt den Tätern nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhört sein.
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EMILIA. Der Prinz! - Wo bin ich denn also?
MARINELLI. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen.
EMILIA. Welch ein Zufall! - Und Sie glauben, daß er gleich selbst erscheinen könne? - Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter?
MARINELLI. Hier ist er schon.
Fünfter Auftritt
(Der Prinz. Emilia. Marinelli)
DER PRINZ. Wo ist sie? wo? - Wir suchen Sie überall, schönstes Fräulein. - Sie sind doch wohl?
- Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre Mutter, -
EMILIA. Ah, gnädigster Herr! wo sind sie? Wo ist meine Mutter?
DER PRINZ. Nicht weit; hier ganz in der Nähe.
EMILIA. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine, oder den andern, vielleicht treffen!
Ganz gewiß treffen! - denn Sie verhehlen mir, gnädiger Herr - ich seh' es, Sie verhehlen mir -
DER PRINZ. Nicht doch, bestes Fräulein. - Geben Sie mir Ihren Arm, und folgen Sie mir ge-trost.
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EMILIA (unentschlossen). Aber - wenn ihnen nichts widerfahren - wenn meine Ahnungen mich trügen; - warum sind sie nicht schon hier?
Warum kamen sie nicht mit Ihnen, gnädiger Herr?
DER PRINZ. So eilen Sie doch, mein Fräulein, alle diese Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen. -
EMILIA. Was soll ich tun! (die Hände ringend) DER PRINZ. Wie, mein Fräulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich hegen? -
EMILIA (die vor ihm niederfällt). Zu Ihren Fü-
ßen, gnädiger Herr -
DER PRINZ (sie aufhebend). Ich bin äußerst beschämt. - Ja, Emilia, ich verdiene diesen stum-men Vorwurf. - Mein Betragen diesen Morgen, ist nicht zu rechtfertigen; - zu entschuldigen höchstens. Verzeihen Sie meiner Schwachheit.
Ich hätte Sie mit keinem Geständnisse beunru-higen sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich durch die sprachlo-se Bestürzung, mit der Sie es anhörten, oder vielmehr nicht anhörten, genugsam bestraft. -
Und könnt' ich schon diesen Zufall, der mir 79
nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig verschwindet, - mir nochmals das Glück Sie zu sehen und zu sprechen verschafft; könnt' ich schon diesen Zufall für den Wink eines günsti-gen Glückes erklären, - für den wunderbarsten Aufschub meiner endlichen Verurteilung erklä-
ren, um nochmals um Gnade flehen zu dürfen: so will ich doch - Beben Sie nicht, mein Fräulein
- einzig und allein von Ihrem Blicke abhangen.
Kein Wort, kein Seufzer, soll Sie beleidigen. -
Nur kränke mich nicht Ihr Mißtrauen. Nur zweifeln Sie keinen Augenblick an der unum-schränktesten Gewalt, die Sie über mich haben.
Nur falle Ihnen nie bei, daß Sie eines andern Schutzes gegen mich bedürfen. -Und nun kommen Sie, mein Fräulein, - kommen Sie, wo Entzückungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen.
(Er führt sie, nicht ohne Sträuben, ab) Folgen Sie uns, Marinelli. –
MARINELLI. Folgen Sie uns, - das mag heißen: folgen Sie uns nicht! - Was hätte ich ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter vier Augen mit ihr bringt. - Alles, was ich zu tun ha-be, ist, - zu verhindern, daß sie nicht gestöret 80
werden.
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