Emilia - Herzbeben
Seine Stimme donnerte lauter als das Gewitter.
Mia sah Kell und Malina ängstlich an.
»Lass dich darauf nicht ein, Mia!«, rief Kell und streckte seinen Arm aus, um Mia den Weg zu versperren. »Sie gehören Angor! Sie lügen! Sie würden alles tun, um dich zu bekommen!«
Mia drehte sich wieder um. Viele von ihnen lagen bereits bewusstlos am Boden. »Sie bringen sie um!«, schrie Mia. Tränen flossen ihr heiß über das Gesicht und mischten sich mit dem kalten Regen. »Nur meinetwegen«, hauchte sie. Was sollte sie tun? Wenn sie noch länger wartete, starben sie. Es blieb ihr nichts Anderes übrig. Sie waren nur ihretwegen hier. Und nur wenn sie mit ihnen ging, würden sie wieder verschwinden. Jona lehnte an der Wand. Er war kreidebleich und seine Atmung war nur noch ganz flach. Als sie hörte, wie sich sein Herzschlag verlangsamte, rannte sie los. Kell versuchte sie festzuhalten, doch sie schlug ihm die Hand weg, wodurch er weit nach hinten geschleudert wurde. Malina schrie ihren Namen, doch Mia wurde bereits in eine kalte Dunkelheit gehüllt. Sie hörte sie kaum noch und sie konnte nichts mehr sehen. »Um euch kümmert er sich später«, donnerte die Stimme des Mannes noch und klang jetzt viel leiser. Dann wurde Mia in die Luft gehoben. Sie war umgeben von Schatten. Sie sah nur Dunkelheit. Doch sie spürte, wie sie davon getragen wurde. Die Geräusche auf dem Schiff entfernten sich schnell. Bald waren sie nicht mehr zu hören. Alle Anspannung fiel mit einem Mal von ihr ab. Sie waren gerettet. Die Schatten waren fort. Wenigstens einmal hatte sie ihnen etwas von dem zurückgeben können, was sie ihr die ganze Zeit schon so bedingungslos schenkten. IhreUnversehrtheit. Und selbst, wenn es das erste und letzte Mal war, dass sie ihnen etwas geben konnte, so hoffte sie, dass es ihnen ihre Wertschätzung zeigte, ihre Dankbarkeit und … ihre Liebe. Sie wusste nicht, wohin sie sie brachten, doch sie hoffte, dass es weit weg war. Weit, so weit wie möglich von den Menschen entfernt, denen sie ihr Herz geöffnet hatte.
31
Ramon schlug auf dem Schiff ein, wie ein Komet und erschütterte es damit so sehr, dass sie alle erneut in Panik gerieten. Doch ehe auch nur einer einen klaren Gedanken fassen konnte, stürzte er in nicht erkennbarer Geschwindigkeit hinein, packte Kell mit beiden Händen am Kragen und presste ihn brüllend und knurrend wie ein Löwe gegen die Wand. »WO IST SIE?«, schrie er ihm ins Gesicht. Seine Augen waren pechschwarz und funkelten ihn drohend an.
Kell ächzte unter dem Druck seiner Fäuste und versuchte sie zu lösen. Als er nicht schnell genug antwortete, schmiss er ihn zur Seite, so dass er durch den gesamten Speisesaal flog und auf der anderen Seite gegen die Wand schlug.
Im nächsten Moment schnappte er sich Malina und brüllte sie genauso an. »Sie haben sie mitgenommen!«, schrie sie zurück und versuchte sich seine Hände von der Bluse zu reißen, doch er schubste sie im nächsten Moment von sich.
Alva versuchte sich ihm vorsichtig zu nähern, wich aber sofort wieder zurück, als er wie wahnsinnig geworden vor Zorn durch den Raum lief, brüllte und gegen die Tische schlug. Er tobte wie eine Urgewalt, sein Gesicht vor Schmerz und Wut verzerrt. Tränen glänzten in seinen Augenwinkeln und seine Angst klang in seiner bebenden und ohrenbetäubenden Stimme mit. Teile der Tische zerschlugen an der Wand oder flogen durch die Fenster. Die Schüler flüchteten aus dem Raum. »Er dreht durch!«, rief einer warnend den anderen Schülern zu. »Er dreht total durch!« Er hob die Stühle an und zertrümmerte sie an den restlichen noch stehenden Tischen. Irgendwann stützte er sich schnaubend und knurrend auf einem von ihnen ab, starrte in die Leere und zittertevor Wut. Doch sie galt nicht nur denjenigen, die sie mitgenommen hatten. Sie galt ihm selbst. Weil er den größten Fehler seines Lebens begangen hatte. Er hatte sie allein gelassen! Nicht nur, dass er damit ihr Todesurteil unterschrieben hatte, nein, er hatte auch noch sein Versprechen Rece gegenüber gebrochen. Wenn sein Körper nur nicht so unzerstörbar wäre, hätte er sich jetzt vor Selbsthass, Angst und Scham am liebsten eine Kugel in den Kopf gejagt. Warum hatte er sich von ihr verscheuchen lassen? Er sah ihr Gesicht vor sich. Ihr weinendes Gesicht und die ihm so vertrauten Augen, aus denen so deutlich die Angst um ihren Vater sprach. In ihm kochte die Wut hoch. Sie vibrierte in dem Tisch und im Boden. Sein Schnauben wurde lauter, sein
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