Emilia - Herzbeben
ihnen, mit dem Unterschied, dass hier zahlreiche Gerätschaften herumstanden, hier und da waren Flaschen mit farblich unterschiedlichen Inhalten und nach Größe sortiert aufgestellt, überall lagen Kristalle herum und von der Decke hingen Kräuterbüschel. Nouel ging zu einem großen, massiven Holztisch, auf dem ein schwarzer Beutel lag. Er legte den Rucksack auf den Tisch und öffnete ihn. »Mal sehen«, murmelte er und zog ein dickes, weißes Buch heraus. »Mondieu!«, sagte er wieder. Er legte es auf den Tisch und strich über das silberne Herz, das auf dem Einband aufgedruckt war. »Dieses Herz.« Auf einmal lief er zu einem Regal und wühlte ein kleines, schwarzes Samtsäckchen aus einer Schüssel. Als er wieder bei den beiden Mädchen war, ließ er etwas daraus auf seine Hand fallen und zeigte es ihnen. Es war ein silberner Anhänger. Und er hatte dieselbe Form, wie das Herz auf dem Buchumschlag.
Soraya nahm es überrascht in die Hand. »Das sieht ja haargenau so aus!«
»Oui«, sagte Nouel und nahm es ihr wieder weg. »Vor ein paar Tagen kam ein Mann zu mir. Ein Vampir, glaube ich. Er hatte ganz schwarze Augen«, erzählte er redselig und fuchtelte dabei mit einer Hand in der Luft herum, »und wirkte furchteinflößend undgefährlich. Aber er war sehr gut gekleidet!«, erinnerte er sich anerkennend. »Wie ein Gentleman. Doch es war die merkwürdigste Begegnung, die ich je hatte.« Er hielt jetzt den Anhänger hoch. »Er hat von mir verlangt einen solchen Anhänger herzustellen. Für seine Freundin. Er wollte sie vor ihm verstecken. Jedoch durfte ich sie nicht ansehen! Ich musste die Tarnung mit verbundenen Augen vollziehen, stellt euch vor!«
Sylvia und Soraya sahen sich ratlos an. »Und wie hieß er?«, fragte Sylvia.
»Vhan«, sagte Nouel. »Vhan Develiér. Er hat mir aufgetragen zwei dieser Anhänger herzustellen und auf die Person zu warten, die für den zweiten Anhänger vorgesehen ist, um sie mit ihm zu tarnen. Nun«, sagte er, »ich denke dieser Moment ist gekommen.«
»Dieser Vhan wusste, dass wir kommen würden?«, fragte Sylvia erschrocken.
»Nur, dass die Person, für die er vorgesehen ist, nicht hier ist«, wiederholte Nouel vorwurfsvoll.
»Wir bringen ihr den Anhänger!«, bekräftigte Soraya wütend. »Sie bekommt ihn noch heute! Können Sie die Tarnung nicht mit Hilfe dieses Buches vornehmen?«
Nouel seufzte. »Ihr lieben Kinder«, sagte er und erntete damit wütende Blicke. »Um eine Tarnung von jemandem vorzunehmen, brauche ich seine ganz persönliche Struktur. Die Struktur seines Körpers und seiner Seele. Jedes Lebewesen hat eine einzigartige, nie dagewesene und niemals wiederkehrende Struktur, ein Informationsfeld, das in Gegensätzen schwingt. Körper«, er bewegte seine Hände erst in eine Richtung, »Geist«, und dann in die andere, »Materie und Bewusstsein, Leben und Tod, Yin und Yang. Jedes Wesen lebt in dieser Trennung der Gegensätze. Nur dadurch können wir diese Gegensätze wahrnehmen und das Leben so leben, wie wir es kennen. Wir könnten die Nacht nicht sehen, wenn es nicht den Gegenpol, den Tag, gäbe, oui?!«
Die Mädchen nickten, hatten jedoch keine Ahnung, worauf er hinaus wollte.
»Nun«, er hob jetzt wieder den Anhänger hoch, »was ich tue, ist, ein Informationsfeld oder eine Art Aura um das Wesen, das geschützt werden will, zu erschaffen, welche die Gegensätze seinerpersönlichen Struktur vereint. Das bedeutet, dass sich seine Struktur mit der gesamten Existenz verbindet. Und was passiert dadurch?«
Sie zuckten ratlos mit den Schultern.
»Es ist wie in einem gewaltigen Gemälde«, erklärte er voller Enthusiasmus und deutete mit seinen Händen ein riesiges Viereck in der Luft an. »Es sind Millionen von Farbpigmenten in diesem Bild. Jedes Pigment steht für ein Wesen und es bildet eine Einheit mit der gesamten Existenz, also mit dem Bild. Da wir uns alle in diesem Gemälde befinden und uns von dieser Einheit als getrennt betrachten, können wir uns sehen und wahrnehmen. Wir können uns anfassen, uns auf die Nase hauen, das eine Pigment mögen und das andere hassen. Wir laufen hier in diesem gewaltigen Gemälde herum und ahnen nicht, dass alles eins ist. Dass wir nur Pigmente in einem wunderschönen Gemälde namens Universum sind. Wir sind immer mit allem verbunden, immer eine Einheit, doch wir können erst wieder vollständig und bewusst damit verschmelzen, wenn wir sterben. Dann lösen sich die Gegensätze auf, Körper und Geist, und wir nehmen alles
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