Emilia - Herzbeben
geweckt waren, hatte sie auch Angst davor, was sie entdecken würde, wenn sie weiter suchte. Denn das mulmige, ungute Gefühl in ihrem Bauch war immer noch da. Und es wurde immer stärker.
9
Am nächsten Tag lief derselbe Film ab, wie die Tage zuvor. Ihre Mutter spielte ihr eine fröhliche Unbeschwertheit vor und ihr Großvater war lässig und locker, wie eh und je. Alles war, als sei überhaupt nichts passiert. Doch in die Kellertür war jetzt ein Schloss eingebaut und an der Haustür blinkte plötzlich eine Alarmanlage. Sie mussten sie wirklich für blöd halten. Auch Nadja und die anderen spielten ihr weiterhin eine fröhlich freundliche Unbekümmertheit vor. Nadjas Wunden waren überraschenderweise kaum noch zu sehen. Doch niemand sprach sie darauf an. Es sprach auch niemand über den Unfall. Mia hatte allerdings das Gefühl, dass ihre neuen Freunde nun mit noch mehr Respekt behandelt wurden, als zuvor. Die Blicke der Schüler zeigten Bewunderung und Ehrfurcht, als sie an ihnen vorbei gingen, um das Schulgebäude zu betreten. Auch der Unterricht lief völlig normal ab. Niemand stellte Fragen. Als sie sich dann in der großen Pause hinter der Schule auf der Wiese alle versammelten, riss Mia schließlich der Geduldsfaden.
»Schon komisch, dass bei dem Busunglück kein Schüler verletzt worden ist«, sagte Mia und sah Nadja dabei an. »Bis auf dich.«
Sie wandten sich sofort alle erschrocken zu ihr um. Es standen nicht nur Nadja, Lara und Jan bei ihr, sondern auch der stille Patrick, Jona und Mike. Emma kam gerade erst dazu.
»Ich würde sagen, das war Glück«, sagte Jan.
Mia senkte den Kopf, starrte die Wiese an und lachte leise. »Ihr müsst mich wirklich für blöd halten«, sagte sie. »Ich habe euch gehört. In dem Behandlungszimmer.« Sie sah, wie Jan, Nadja und Lara ein wenig zusammenzuckten.
» Was hast du gehört?«, fragte Nadja.
»Alles«, sagte Mia und sah Nadja erwartungsvoll an. Doch sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie blickte ihre Klassenkameraden hilfesuchend an, doch auch diese sagten nichts. »Was hat das zu bedeuten«, fragte Mia jetzt, »dass Jan den Bus angehalten und du die Schüler beschützt hast? Wieso ist der Bus in der Luft stehengeblieben, als würde er an einem Drahtseil hängen? Kannst du mir das erklären? Und wieso sind deine Schnittwunden schon verheilt?«, fragte sie und deutete auf ihre Arme. Es war ihr egal, wenn sie jetzt wütend auf sie wurden oder sie für verrückt erklärten. Sie waren ohnehin keine echten Freunde. Sie hatte also nichts zu verlieren, weshalb sie jetzt einfach mit den Fragen fortfuhr: »Warum haben die Krankenschwestern vermutet, dass P-Schüler in dem Bus gewesen sein mussten? Was sind P-Schüler überhaupt? Und wieso haben hier alle Angst vor euch? Wenn ihr keine Sekte seid, was seid ihr dann?«
Auf einmal hörte sie Jona lachen. Er stand ihr mit verschränkten Armen direkt gegenüber und lachte in sich hinein. Er hatte ein hübsches Lachen. Das war ihr bisher gar nicht aufgefallen. »Ich hab's euch gesagt«, sagte er und sah seine Freunde dabei einen nach dem anderen an. »Das wird nicht funktionieren.«
Nadja machte ein verzweifeltes Gesicht und seufzte.
» Was wird nicht funktionieren?«, fragte Mia.
Doch die Antwort gab ihr Mike. »Dir zu verheimlichen, was wir vor jedem geheim halten müssen. Wir hätten uns gleich denken können, dass es nicht funktioniert, wenn du in unserem Bereich eingeteilt wirst und uns ständig um dich hast.«
Mia sah fragend von einem zum anderen. Wovon redeten sie?
»Siehst du den Rosenbusch dort?«, fragte Jona sie auf einmal. Mia sah sich um und entdeckte an einer Hecke, dort wo der Schulgarten war, weiße Rosen. Sie waren wunderschön, doch sie wusste nicht, was er ihr damit sagen wollte. Sie sah ihn wieder an, woraufhin er sie wissend angrinste. Dabei fing es in ihrem Bauch an zu kribbeln. »Eigentlich ist es verboten«, sagte er jetzt, »diese Rosen zu pflücken. Lass dich nicht erwischen.« Dann zwinkerte er ihr zu und sah an ihr hinunter.
Mia senkte den Blick verwirrt auf ihre Kleidung und stellte erschrocken fest, dass eine der Rosen in ihrer Hosentasche steckte!Sie hob sofort wieder den Kopf und sah ihn erschrocken an. Dabei bemerkte sie, dass sein Blick nicht nur amüsiert über ihr erschrockenes Gesicht war, sondern seltsam innig und tief. Mia wurde rot. »Wie … hast du das gemacht?«
Jonas Stimme wurde jetzt sehr leise. »Wir nutzen dafür unsere Gedanken. Diese Fähigkeiten sind bei uns
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