Emilia - Herzbeben
gegen den Bus gefahren.« Das war das, was passiert war. Doch ihre Mutter wollte offenbar etwas Andereswissen.
»Aber was war davor? Erzähl mir alles genau, Mia.«
Mia holte tief Luft. »Es zog Nebel auf und Gewitterwolken. Und dann haben die Leute irgendwie Panik gekriegt und der LKW ist in den Bus gefahren.« Sie erzählte ihr nichts davon, dass Jan den Bus angehalten und Nadja anscheinend die Schüler beschützt hatte. Und sie erzählte ihr auch nichts von dem Mann, der den Bus wieder aufgerichtet hatte. Und sie sagte nichts von den Gesprächen im Korridor des Krankenhauses. Das alles behielt sie für sich. Seit sie nach letzter Nacht davon überzeugt waren, dass sich Mia den Einbrecher nur eingebildet hatte, würden sie ihr das erst recht nicht abkaufen. Nachher brachten sie sie noch zu einem Psychologen.
»Davor, Mia.«
Mia schnaubte. »Ich weiß nicht, was du meinst, Mama! Was soll denn gewesen sein? Ich hab mich ganz normal mit Nadja unterhalten und bin ein bisschen wütend geworden, aber …«
Plötzlich ließ ihre Mutter den Kopf nach hinten fallen, die Schultern sinken und seufzte erleichtert. Mia wusste, dass sie es nicht mochten, wenn sie wütend wurde. Niemand mochte das. Aber was tat das jetzt zur Sache?
»Es ist nicht meine Schuld!«, rief Mia verzweifelt. »Ich habe niemandem etwas getan.« Sie hatte den Busfahrer nicht einmal angesehen. Es lag nicht an ihr! Er hatte sich vor dem Unwetter erschrocken, nicht vor ihr.
Anna starrte die Decke des Wagens an. Sie standen schon vor Walts Haus. »Natürlich nicht, Mia«, seufzte sie. »Ich muss deinen Vater anrufen. Er macht sich Sorgen. Lass uns reingehen.«
Mia stieg aus, schmiss die Autotür zu und folgte ihrer Mutter mit zusammengebissenen Zähnen ins Haus. Es war nicht ihre Schuld, sagte sie in Gedanken erneut. Dieses Mal hatte sie niemanden erschreckt. Anna stellte nur ihre Handtasche ab, zog ihr Handy heraus und sagte: »Ruh dich aus, Mia. Ich bin gleich wieder da.« Und dann ging sie vor die Tür auf die Veranda. Das machte sie oft, wenn sie mit Mias Vater telefonierte. Doch dieses Mal ging sie noch ein Stück weiter weg. Damit Mia ja nicht hörte, was sie redeten.
Mia schmiss ihren Rucksack in die Ecke und wollte schon in ihr Zimmer laufen, da fiel ihr etwas ein. Sie drehte sich um und sah das Fenster in der Küche an. Schnell lief sie in den Raum und inspizierte den Rahmen. Es war keine Alarmanlage zu sehen. Nirgends. Dann lief sie ins Wohnzimmer und kontrollierte dort alle Fenster und auch die Terrassentür. Auch hier konnte sie nichts entdecken. Er hatte sie angelogen. Es gab keine Alarmanlagen in diesem Haus! Als ihr das bewusst wurde, ging sie entschlossen zur Kellertür. Sie sah noch einmal zum Fenster. Ihre Mutter lief draußen auf und ab, während sie mit René sprach. Das konnte noch Stunden dauern. Mia versuchte mit ihren Fingern in die Tür zu Greifen, da ja der Griff abgerissen war und dann stellte sie überrascht fest, dass sich die Tür plötzlich ganz leicht öffnen ließ. Sie schwang knarrend nach außen auf. Mia sah die steinerne Kellertreppe hinunter. Was hatten sie ihr für verrückte Geschichten über diesen Keller erzählt? Er war hell! Sehr hell! Licht schien unten hinein und an der Decke hingen Lampen! An der Wand sah sie die Schrotflinte hängen, doch es war nicht die Waffe, die Mia interessierte. Sie ging die Stufen hinunter. Die Luft war angenehm und bisher hatte sie noch keine einzige Spinne entdeckt. Und auch keine Spinnweben. Es war sauber hier unten. Ungewöhnlich sauber für einen Keller. Von der Decke hingen hier und da getrocknete Kräuterbüschel, die einen würzigen Geruch verbreiteten. Als Mia unten ankam, sah sie zuerst nach rechts. Dort standen all die Regale mit den Weinflaschen. Sie waren weder eingestaubt noch voller Spinnweben, wie Walt es ihr erzählt hatte. Sie waren sauber. So, als habe man sie erst kürzlich geputzt. Gegenüber von den Regalen stand ein Tisch, über dem eine Halterung mit Weingläsern angebracht war. Und daneben hing ein Bild eines Weinberges an der Wand. Mia ging jedoch weiter an den Weinregalen vorbei und blieb erst stehen, als sie hinter den Regalen, in der hintersten Ecke versteckt, ein Bett entdeckte. Sie blickte es entgeistert an. Es war ordentlich gemacht, das Kopfkissen aufgeschüttelt und die Bettdecke glatt gestrichen. Daneben stand ein kleiner Nachtschrank mit einer Kerze und einem Päckchen Streichhölzer. Mia ging hinüber. Wer schlief denn bei ihrem Großvater im
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