Emilia - Herzbeben

überlegen, was er ihr sagen sollte. »Du hast gesagt, dass du einen Schatten gesehen hast«, erinnerte er sie irgendwann.
    »Ich weiß«, sagte Mia irritiert. »Und?«
    »Und?« Jona blieb stehen und sah sie lange an. »Weißt du nicht, was Schatten sind?«
    Sie blickte ihm ratlos in die hübschen Augen. »Was meinst du?«
    Sein verzweifelter, nachdenklicher Blick machte sie nervös. »Als du sagtest, dass du einen Schatten gesehen hast, bin ich davon ausgegangen, dass du einen Schatten gesehen hast«, sagte er verständnislos und betonte das Wort Schatten merkwürdig überspitzt.
    Mia kapierte überhaupt nichts mehr. »Ja?!«, sagte sie und hob fragend die Augenbrauen. »Einen Schatten. So ein schwarzes Nebelding mit schwarzen Augen.« Was hatten sie denn auf einmal? Dass dieses Bild sie aufwühlte, war klar. Aber warum reagierte er so panisch darauf?
    Jetzt atmete Jona tief ein und legte den Kopf in den Nacken. Als er sie dann wieder ansah, sagte er: »Verstehe. Du weißt also nicht, was du gesehen hast.« Dann blieb er einen Moment stumm und sah sie erneut nachdenklich an. »Warum hast du dann nicht Monster gesagt, oder Geist, oder …«
    Mia zog irritiert die Stirn kraus. »Na, weil es ausgesehen hat, … wie ein Schatten«, erklärte sie wirr. »Ein Schatten mit Augen.«
    In diesem Moment kam Nadja zu ihnen gelaufen. »Hey! Walt kommt uns entgegen.« Als sie sah, dass Jona Mias Hand hielt, verstummte sie und verkniff sich ein Grinsen. »Alles okay?«
    Jona und Mia lösten verlegen ihre Hände voneinander und sahen Nadja an. »Sie weiß nicht, was ein Schatten ist«, sagte Jonaleise zu ihr.
    Nadja sah Mia verwirrt an. »Aber du sagtest, du hast einen Schatten gesehen!«
    Mia rollte mit den Augen. »Ja, ich habe einen Schatten gesehen! Eine schwarze Nebelwolke mit Augen. Was habt ihr damit für ein Problem? Es war nur ein Bild!«
    Sie sahen sie beide erschrocken an, woraufhin Mia sofort den Blick senkte. Vermutlich sah sie wieder zu wütend aus. »Es hat sich nur so angehört, als wüsstest du, was ein Schatten ist«, sagte Nadja jetzt vorsichtig, ging ein paar Schritte weiter und drückte auf den Fahrstuhlknopf. »Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass du eine Vision hattest.«
    Mia sah sie entgeistert an. »Eine Vision?«
    Nadja und Jona tauschten einen Blick. »Ja«, sagte Nadja dann zu ihr. »Das kommt bei uns schon mal vor.«
    Mia sah vom einen zum anderen. »Aber bei mir nicht. Ich bin nicht übersinnlich.«
    »Sicher?«, fragte Jona sie jetzt und folgte ihr und Nadja in den Fahrstuhl. »Zukunftsvisionen kann man manchmal nicht erkennen. Sie vermischen sich mit Bildern aus der Gegenwart und der Vergangenheit, weil Zeit nicht existiert. Hast du verschiedene Szenen gesehen, die ineinander geflossen sind, als seien sie eins?«
    Mia erschrak. Ja, das hatte sie. Aber woher wusste er das? Jona machte auf einmal ein gequältes Gesicht. »Was genau hast du gesehen?«
    Sie vergaßen fast aus dem Fahrstuhl auszusteigen, so gebannt warteten sie auf Mias Antwort. Doch sie sagte nichts. Sie stürmte hinaus und lief zum Ausgang. »Mia, warte!«, rief Nadja.
    Mia rüttelte an der Eingangstür, schaffte es aber nicht, sie zu öffnen. In dem Moment sah sie Jonas Arm neben sich. Er umfasste den Türgriff und zog daran. »Ziehen«, flüsterte er. Mia wich zurück, als sich die Tür öffnete und stieß gegen seinen Körper. Eine unerträgliche Hitzewelle brach in diesem Moment in ihr aus. Sie schwappte wie eine Welle aus Feuer einmal durch ihren ganzen Körper. Mia schnappte nach Luft und lief hinaus. »Ich habe gar nichts gesehen!«, rief sie, als sie über den Hof lief. »Es waren nur Bilder. Verrückte Bilder!«
    »Mia!«, rief Jona, lief ihr hinterher und schnappte sich erneut ihre Hand. Als sie sich zu ihm umdrehte, sagte er: »Du hast diese Bilder in dem Moment gesehen, als du dich auf mich konzentriert hast.« Wieder bekam sein Gesicht diesen gequälten Ausdruck. »Hatte es etwas mit mir zu tun?«
    Ein kaltes Entsetzen breitete sich in Mia aus. Und als Jona bemerkte, dass sie seine Frage nicht verneinen konnte, senkte er den Blick, biss die Zähne zusammen und deutete ein verzweifeltes Nicken an. In seinem Gesicht spiegelte sich Angst wider.
    »Mia!« Walt kam in diesem Moment über den Hof gelaufen. Er war schnell. Ungewöhnlich schnell für sein Alter. »Alles okay?«
    Jona ließ wieder Mias Hand los, drehte ihr den Rücken zu und entfernte sich ein paar Schritte von ihr. Dabei ging er sich mit einer Hand durch sein