Emilia - Herzbeben
übersinnliche Schüler, den ich kenne, die Begabung, Dinge zu sehen, die anderen Menschen verborgen bleiben. So, wie Jona manchmal kurze Blicke in die Zukunft erhaschen kann.«
Mia blickte ihn erschrocken an. Jona konnte in die Zukunft sehen?
»Er hat Visionen. So, wie du. Und sie bewahrheiten sich immer. Ausnahmslos.«
»Nein«, hauchte Mia und wich einen Schritt zurück. »Das war keine Vision. Das war …«
»Ein Hirngespinst?«, fragte Walt. »So, wie die Bilder, die Sylvia Nacht für Nacht gesehen hat?«
Mia sah das Mädchen noch einmal an und wandte sich dann wieder ihrem Großvater zu. »Das kann keine Vision gewesen sein«, sagte sie voller Abwehr. »Es gibt keine Schattenwesen, die einem die Luft absaugen!«
Jetzt nickte Walt seufzend. »Etwas Ähnliches hat Sylvia auch gesagt. Es gibt keine Vampire, die einem das Blut aussaugen. Was, wenn du dich irrst, Mia? Wenn diese Welt ganz anders ist, als du glaubst? Wenn dir nur vorgespielt werden würde, dass sie so ist, wie sie ist und hinter der Fassade eine ganz andere Wirklichkeit herrscht? Bevor du diese Schule betreten hast, hast du nicht daran geglaubt, dass es Menschen mit übersinnlichen Kräften gibt, nichtwahr? Sie haben nicht zu deiner Realität dazu gehört. Doch jetzt siehst du, dass du dich geirrt hast.« Er sah Mia lange an, bevor er weitersprach. »Du brauchst mir nicht zu erzählen, was du gesehen hast, Mia. Ich kann es mir schon denken. Es war Jona, nicht wahr?«
Mia zuckte vor Schreck zusammen.
»Dieser Schatten«, seufzte er und senkte den Blick, »hat Jona die Energie ausgesaugt und er ist erstickt.«
In Mias Augen sammelten sich Tränen. »Woher …«
»Er hat dieselbe Vision«, sagte er jetzt und wirkte dabei ebenso verzweifelt, wie zuvor Jona. »Schon seit Wochen.«
Sie wich kopfschüttelnd vor ihm zurück. »Nein«, flüsterte sie. »Das ist verrückt.« Sie waren alle verrückt! Glaubten sie tatsächlich an Monster und Geister? An Vampire und Schattenwesen? Wollte er sie auf den Arm nehmen? Was zum Teufel war auf einmal mit ihrem Leben los? Bis vor ein paar Tagen war noch alles normal gewesen. Sie hatte ihren tristen, normalen Alltag, ihr tristes, einsames Leben und ihr gewohnt tristes Dasein gehabt. Doch seit sie hier war, stellte sich alles auf den Kopf! Jetzt sollte es auf einmal Vampire und Schattenwesen geben? Sie war gerade erst dabei mit der Tatsache klarzukommen, dass sie jetzt Freunde hatte! Und das war schon schwer genug für sie. Dass diese Freunde übersinnliche Kräfte hatten und sie auf eine Schule für übersinnlich Begabte ging, musste sie auch erst einmal verarbeiten. Er konnte unmöglich von ihr verlangen, jetzt auch noch an nichtmenschliche Wesen zu glauben!
Mia schnappte nach Luft und taumelte durch den Raum. Alles drehte sich auf einmal. Ihr war, als habe diese Stadt einen schlechten Einfluss auf sie. Seit sie hier war, ging es ihr deutlich schlechter. Ihre Medizin wirkte kaum noch. Walt sprang sofort auf sie zu und hielt sie an den Schultern fest. »Mia? Was ist mit dir?«
Sie hob die Hände und schloss die Augen. »Geht gleich wieder«, murmelte sie und überlegte, ob sie heute Morgen die Flüssigkeit getrunken hatte, die ihre Mutter ihr hingestellt hatte. Sie trank sie eigentlich immer. Aber im Moment stand ihr Leben so Kopf, dass sie diese wichtige Gewohnheit schon mal vergessen konnte. Während sie überlegte, wurde ihr erneut heiß. Besonders dort, wo Walt sie berührte, schien ihre Haut zu kochen. Sie schob sich seineHände von den Schultern und ging rückwärts durch den Raum.
»Ist das ein Schwächeanfall?«, fragte Walt sie panisch.
Mia nickte, sagte ihm aber erneut, dass es gleich vorbei ging. Sie wollte nicht, dass er sich unnötig Sorgen machte. Er hatte sie noch nie so gesehen. Dazu war er zu selten da gewesen.
Doch er rannte sofort durch sein Büro, öffnete eine Tür an seinem Schreibtisch und zog eine dunkle Flasche heraus. »Deine Mutter hat mir vorsichtshalber eine davon mitgegeben.« Er holte auch ein Glas hervor und goss die rote Flüssigkeit hinein. »Ich habe auch allen Lehrern Bescheid gegeben. Sie sollen dich zu mir bringen, sobald sie etwas merken.«
Mia ging langsam zu ihm und nahm das Glas in die Hand. Das war eine weitere Erklärung dafür, dass alle so freundlich zu ihr waren. Mitleid. Sie seufzte und trank das Glas leer, das er viel zu voll gemacht hatte. Warum machte er eine so große Sache daraus? Sie kam schon damit klar. Auch, wenn die Symptome in letzter Zeit viel
Weitere Kostenlose Bücher