Emilia - Herzbeben
auszusprechen, die ihr auf der Zunge lagen, »wenn sie so etwas wie … Vampire«, sie flüsterte das Wort so leise, dass sie Schwierigkeiten hatten sie zu verstehen, »geworden sind?«
Jetzt waren sie alle still und sahen sie erschrocken an.
»Walt sieht für sein Alter ungewöhnlich jung aus. Und Alva auch«, sinnierte Nadja.
Mike blickte das Grab von Mias Mutter an und schüttelte dann mit dem Kopf. »Das kann nicht sein. Sieh dir das Datum an! Da war Mia noch gar nicht auf der Welt. Und soviel ich weiß, können Vampire keine Kinder kriegen.«
Nadja senkte den Kopf und murmelte: »Wir wissen kaum etwas über Vampire.« Dann hob sie vorsichtig den Blick und sah Mike bedeutsam an: »Nur, dass sie Blut trinken und man ihnen nicht in die Augen sehen darf. Mehr nicht.«
»Jetzt lasst diese wilden Spekulationen!«, flüsterte Jona verärgert. »Wir fragen Jan, ob er etwas über sie herausfinden kann.« Mia sah Jona hoffnungsvoll ins Gesicht, woraufhin er ihr erklärte: »Jan ist Hacker. Er kann sich in alle möglichen Datenbanken hacken und herausfinden, was immer du wissen willst. Bestimmt gibt es eine Erklärung dafür, die nicht total irre ist.« Dabei sah er Nadja und Mike vorwurfsvoll an.
»Schon gut«, flüsterte Mike. »Lasst uns erst mal hier verschwinden.«
Während sie über den Friedhof gingen, sprachen sie kaum ein Wort miteinander. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Jona half Mia wieder über den Zaun und öffnete ihr die Autotür wie ein Gentleman. Auf dem Nachhauseweg machte Mike dann das Autoradio an, um für ein wenig Ablenkung zu sorgen, doch damit konnte er nichts an den nachdenklichen Gesichtern seiner Freunde ändern. Mia störte das Gerede im Radio über das Lichterfest eher, weshalb sie aus dem Fenster sah und nach den Türmen Ausschauhielt, die sie schon einmal aus dem Wald herausragen gesehen hatte. Aber sie fand sie nicht. Stattdessen blendeten sie die Lichter in den Straßen, in den Geschäften und an den Fenstern der Wohnhäuser.
In dieser Nacht bekam Mia kein Auge zu. Stattdessen schrieb sie erneut bis zum frühen Morgen in ihr Tagebuch. Das ungute, mulmige Gefühl, das sich in ihr breit machte, seit sie hier eingetroffen war, machte sich auch jetzt wieder bemerkbar. Das war immer so, wenn sie in ihr Tagebuch schrieb. Vielleicht lag es an den unglaublichen Dingen, die sie hinein schrieb. Doch dieses Mal war es schon wieder etwas stärker geworden. Ihr war, als täte sie etwas Böses, mit jedem Wort, das sie in dieses Buch schrieb oder als beginge sie mit diesem Tagebuch ein Verbrechen und würde irgendwann dafür bestraft werden. Sie verstand dieses Gefühl nicht, aber es war da. Es wurde zunehmend unangenehmer, ihre Erlebnisse in ihr Tagebuch zu schreiben. Doch andererseits erleichterte es sie und es half ihr ein wenig Klarheit in ihrem Leben zu finden. Es war ihr wichtig, denn ihr Leben hatte sich auf eine radikale Weise um 180 Grad gedreht. Und das wollte sie einfach festhalten. Doch egal mit welchen Argumenten sie sich das Schreiben ihres Tagebuchs als gut, nützlich und sinnvoll erklärte, es änderte nichts an dem Gefühl, dass sie damit etwas Böses herauf beschwor. Etwas, das sich so groß, so unerträglich groß anfühlte, dass sie das Buch irgendwann am frühen Morgen vor Angst zuschlug und sich schwor, es nicht mehr zu öffnen.
15
Es war ganz in der Nähe. Sie spürte es deutlich. Es lag noch ein feiner Hauch von Nebel auf den Wiesen an diesem Morgen und der kleine Fluss neben ihr plätscherte leise, doch mit einem konstanten Rauschen durch die Landschaft. Mit leisen, vorsichtigen Schritten ging sie voran, vorbei an den Bäumen, die still im Nebel standen wie Trauerzeugen. Die Energie, die von diesem Ort ausging, spürte sie noch immer. Sie war kalt und schneidend, getränkt von Trauer, Angst und Schmerz. Als sie langsam an einem der Bäume vorbei schritt, spürte sie einen intensiven Seelenschmerz. Hier musste die Menschenfrau ermordet worden sein, die er geliebt hatte. Und dann sah sie sie. Die Brücke. Malinas Schritte wurden schneller. So schnell, dass sie mit nur einem Wimpernschlag vor der Brücke stand. Andächtig betrachtete sie den Bogen, der über den Fluss führte. Jeder einzelnen Holzdiele schenkte sie ihre Aufmerksamkeit, als wollte sie um Erlaubnis bitten, sie betreten zu dürfen. Und dann, nach ein paar Minuten stiller Andacht, setzte sie mit ehrfürchtig gesenktem Kopf einen Fuß auf die Brücke. Als sie das Geländer berührte, schossen ihr sofort
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