Emilia - Herzbeben
Dasein, irgendwo in den entlegensten Ecken der Welt. Diese Vorstellung rief in ihnen beiden Widerstand hervor. Malina holte tief Luft, bevor sie weitersprach: »Oder …«
Plötzlich trat Kell auf die Bremse und fuhr an den Seitenstreifen. Als der Wagen zum Stehen kam, blickte er nachdenklich das Lenkrad an und atmete mehrmals tief ein und aus. Irgendwann nickte er leicht und hob wieder den Kopf, um seiner Schwester in die Augen zu sehen. »Oder?« Er wusste schon, was sie sagen würde. Doch er wollte es hören.
Malina lächelte sanft. »Wir sind sein «, sagte sie. »Das waren wir schon immer. Was auch immer er da tut«, sie lächelte, als sie den Satz zu Ende sprach, »wir sollten an seiner Seite sein. Denn da gehören wir hin.«
Kell lächelte ebenfalls und nickte. Sie hatte Recht. Sie waren seine Schöpfungen. Und ihm gehörte ihre Treue. Bis in den Tod. Dass sie seine Anhänger gejagt und vernichtet hatten, war nur Angors Versuch gewesen, sie zu etwas zu machen, was sie nicht waren. Zu seinen Schöpfungen, die ihm treu waren. Er hatte alles in ihnen, das sie noch an Rece band, vernichten wollen, indem er sie losschickte und all jene töten ließ, die ihm selbst über seinen Tod hinaus treu waren. Doch er war gescheitert. Ein solches Band konnte er nicht zerstören. Sie spürten es jetzt deutlicher denn je. Selbst nach all den Jahren und all dem Blut, das sie vergossen hatten. Irgendwann würden sie ihn um Verzeihung bitten. Und sie hofften, dass er ihnen vergeben würde.
Kell startete wieder den Wagen. »Außerdem«, tönte er plötzlich überheblich und zwinkerte dabei, »können wir diese Kids nicht allein lassen. Hast du gesehen, was sie für jämmerliche Waffen haben? Wir müssen sie ausstatten, für den Krieg vorbereiten, sie stärken und trainieren! Sie brauchen ein paar schlagfertige Tricks!«
Malina lachte. »Ja, damit kennen wir uns ja aus«, sagte sie und lehnte sich zufrieden in ihrem Sitz zurück.
Kell verließ bei der nächsten Ausfahrt die Autobahn und fuhr wieder zurück in die Stadt, die schon bald dem Untergang geweiht war. Und dieses Mal fuhr er noch schneller als zuvor.
21
»Wie lange will der eigentlich noch telefonieren?«, schimpfte Mike und sah hektisch auf seine Armbanduhr, während er im Wohnzimmer auf und ab lief. »Und wo verflucht noch mal bleiben die anderen?« Er strich sich ständig nervös durch sein immer noch nasses Haar und sah erneut auf sein Handy. »Verdammt, haben die das Wort Notfall nicht gelesen?«
»Beruhige dich«, sagte Nadja, die ebenfalls nervös auf und ab lief. »Die werden schon kommen.«
Sie sahen beide wieder durch das Fenster und beobachteten den Fremden, der Mia vor den Vampiren beschützt hatte. Er lief draußen, hinter dem gewaltigen Vorgarten auf der anderen Straßenseite, hin und her und telefonierte immer noch. Mitten im strömenden Regen. Mia stand von dem Sofa auf und sah ebenfalls hinaus. Sie versuchte zu verstehen, was er sagte. Als ihr jedoch klar wurde, was sie da tat, schaltete sich ihr Verstand ein und erklärte sie für verrückt. Und er versuchte ihr auch rational zu erklären, warum sie Nadjas Herzschlag gehört hatte, als dieser Vampir vor ihr gekniet hatte und warum sie das Blut der Schulschwester gerochen hatte. Doch das Einzige, das ihr einfiel, war: Einbildung . Mia seufzte resignierend und ließ ihren Blick wieder durch den Raum schweifen. Sie konnte den Mann draußen ohnehin nicht verstehen, selbst, wenn sie sich die Sache nicht einbildete, denn die Geräusche hier drin waren viel zu laut. Blut rauschte, Herzen rasten, in der Küche klimperten Gläser aneinander und der Ventilator an der Decke raubte ihr fast den letzten Nerv. Sie sah wieder hinaus und beobachtete ihn. Er gestikulierte wild mit den Händen und fasste sich manchmal an den Kopf.
Emma kam jetzt aus der Küche und brachte Getränke herein. »Bist du sicher«, fragte sie, als sie das Tablett auf dem Esszimmertisch abstellte, »dass deine Eltern heute erst spät nach Hause kommen, Jan?«
Jan holte sich ein Glas und machte ein bestätigendes Geräusch. »Ganz sicher. Wir haben Zeit.«
Mia setzte sich wieder und sah sie alle an, wie sie durch das Wohnzimmer liefen, nachdenklich, ängstlich, nervös. Sie hatten noch kein Wort über die Vorkommnisse gesprochen. Sie wollten warten, bis alle da waren, damit sie sich nicht wiederholen mussten. Auch der Mann da draußen hatte noch nichts zu ihnen gesagt. Kein einziges erklärendes Wort. Er war einfach verschwunden, als
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