Emilia - Herzbeben
Erst, als Mia die Klingen sah, dieer sich zwischen die Finger geklemmt hatte, wurde ihr klar, dass vor ihnen Vampire standen. Leibhaftige Vampire! Warum war sie darüber nicht schockiert? Oder gar ängstlich? Sie spürte nicht einmal einen Hauch von Besorgnis. Ganz im Gegenteil. Sie war fasziniert von ihnen! Sie spürte Begeisterung und Freude. Und das, obwohl sie offensichtlich feindselig waren. Natürlich waren sie feindselig, sprach sie innerlich zu sich selbst. Es waren Vampire! Waren sie nicht immer feindselig? Sie konnte es nicht fassen, dass sie tatsächlich Vampire sah! Sie hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Irgendwie … hässlicher und gemeiner. Nadja und Mike standen kampfbereit vor ihnen. Und der Mann in der Lederjacke streckte einen Arm leicht aus, um Mia daran zu hindern zu weit nach vorn zu treten. Sie sah ihm jetzt seitlich ins Gesicht und erschrak. Irgendwoher kannte sie ihn.
Die Frau wirkte verwirrt. Ihr Gesicht zeigte nicht nur Fassungslosigkeit, sondern ernsthaften Schrecken, während sie Mike und Nadja ansah. Irgendwann verlieh sie ihren Gefühlen Ausdruck und rief ungläubig: »Teenager?!?« Und es klang so herabwürdigend, dass es weh tat. Sie sah kurz den Mann neben sich an und blickte dann wieder völlig entrückt Mike und Nadja an, die diese Schrecksekunde für einen Angriff nutzen wollten. Sie stürzten auf die beiden zu und versuchten sie mit ihren Klingen anzugreifen. Doch die beiden schubsten sie nur weg, als seien sie zwei lästige Fliegen, die man sich vom Arm schnippte. Sie flogen beide auf den Bürgersteig. Nadja schlug gegen einen Pfeiler und Mike landete in einem Gebüsch. Mia erschrak und wollte zu Nadja laufen, doch der Lederjacken-Typ griff plötzlich in ihr Shirt und hielt sie fest. Dann sahen die beiden den Mann vor Mia an und traten entschlossen auf ihn zu. Mia schluckte. Ihre Münder waren geöffnet und man konnte die Spitzen ihrer Eckzähne hervorblitzen sehen. Es war ein faszinierender Anblick. Als haben sich uralte Geschichten aus Büchern und Filmen plötzlich in die Realität projiziert. Obgleich Mia wusste, dass sie in dieser Situation vor Angst hätte zittern müssen, blickte sie ihnen mit leuchtenden Augen entgegen und wünschte sich, sie würden noch näher kommen. Plötzlich hörte sie jedoch ein tiefes, kehliges Knurren von dem Mann vor sich ausgehen. Er ballte die Hände zu Fäusten,zog seine Schultern zurück und sagte mit einer tiefen, warnenden Stimme: »Keinen Schritt weiter.«
Sie blieben tatsächlich stehen. Der Regen prasselte jetzt so stark auf sie alle hernieder, als wollte er das Feuer löschen, das hier entfacht war. Man konnte es regelrecht spüren. Es loderte zwischen ihnen und verbrannte die Luft. Sie sahen sich still an. Lange. Und manchmal wanderten ihre schwarzen Augen zu Mia und zeigten eine noch größere Fassungslosigkeit als zuvor. Ein junges Mädchen, 15 Jahre alt, klein, dünn und blass, etwas Anderes hatte Mia nicht erwartet. So sah sie jeder an. Nur mit dem Unterschied, dass diese Leute keine Angst vor ihr hatten. Es waren Vampire. Natürlich hatten sie keine Angst! Mia erwiderte ihre Blicke und hörte zum ersten Mal die Stimme des Mannes: »Was bist du?«, fragte er und Mia wusste nicht, ob er sie meinte, oder den Kerl, der ihr immer wieder versuchte die Sicht zu versperren. Er sah sie beide an.
Ihr fremder Beschützer sagte lange nichts. Er schien sich seine Antwort gut zu überlegen. Irgendwann ertönte die Stimme, die Mia so seltsam vertraut war, noch einmal: »Ich gehöre ihm«, sagte er fest und inbrünstig. »Und sie auch.«
Der Mann ließ sofort das Schwert sinken und sah ihn erschrocken an. »Wie bitte?«
Die Atmosphäre knisterte spürbar. Mia sah kurz zu Nadja hinüber, die sich auf die Seite rollte und vor Schmerzen stöhnte. Sie wollte zu ihr gehen, sie wollte ihr helfen, doch der Kerl hielt sie immer noch fest.
Jetzt kam der Mann doch näher und in dieser Sekunde schrie der Mann vor Mia so laut, dass sie zusammenzuckte: »Ich sagte«, donnerte seine Stimme durch die Straße, »keinen Schritt weiter!!«
Der Mann hielt mit einem prüfenden Blick an. »Du lügst«, sagte er. »Er hat nach Emilia niemanden mehr erschaffen.«
Mia erschrak. Der Name zog ihr wie ein Feuerwerk durch den Körper. Emilia?? Sie sah zu Mike hinüber, der auf dem Bürgersteig kniete und ihren Blick ebenso erschrocken erwiderte.
»Sicher?«, erwiderte er. Mia konnte ein Grinsen in seiner Stimme hören. »Dann wagt einen Versuch mich zu
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