Emilia - Herzbeben
Worten. Dabei ließ er die Hände in seine Hosentaschen sinken. »Rece hat mich damals mit ihrem Schutz beauftragt, so wie er Ramon mit Mias Schutz beauftragt hat. Ich bin an ihrer Seite, seit sie sich von Angor gelöst hat.«
Anna ließ sich jetzt doch auf die Couch fallen. Sie war also nicht zu ihm zurückgekehrt? Nachdem sie damals wieder so plötzlich verschwunden war, hatte sie geglaubt, sie sei wieder zu ihm gelaufen, weil das Band zwischen Schöpfer und Schöpfung zu stark war. Sie hatte sich schon damit abgefunden sie nie wieder zu sehen.
»Sie ist seit über 16 Jahren in deiner Nähe, Aina«, sagte Vhan und setzte sich ihr gegenüber auf den Sessel. Sie wacht aus der Ferne über euch.«
Anna kamen auf einmal die Tränen. Was sagte er da? Sie war die ganze Zeit da gewesen? All die Jahre? Sie legte sich eine Hand auf den zitternden Mund. »Warum …«, hauchte sie, »hat sie sich nie gezeigt?«
Walt setzte sich jetzt neben Anna und legte einen Arm um sie.
»Es hätte euch an die Vergangenheit erinnert«, erklärte er. »Angor durfte sie nicht finden und eure Gedanken an sie hätten seine Aufmerksamkeit erregt. Diese Jahre waren eine unvorstellbare Qual für sie. Nicht nur, weil sie dir und ihrer Enkelin nicht nahe sein konnte, sondern weil es sie immer wieder zu ihm zurückzog. Bis vor wenigen Tagen hat sie gegen dieses Band gekämpft.«
Unaufhörlich flossen Anna Tränen über das Gesicht. Sie kannte ihre Enkelin also! Sie war all die Jahre in ihrer Nähe gewesen. Doch sie hatte ihr noch niemals in die Augen gesehen, sie niemals berührt, nie an ihrem Leben teilgenommen. Was musste das für ein unerträglicher Schmerz sein? Sie tat ihr so leid. So unendlich leid.
»Bis vor wenigen Tagen?«, fragte Walt. So lange war sie an ihn gebunden gewesen? Was musste das für ein Band sein, das so viele Jahre brauchte, um sich aufzulösen?
»Es ist nicht aufgelöst«, antwortete Vhan auf seine Gedanken. »Es wird immer da sein. So lange, bis Angor sie frei gibt. Aber sie hat einen Weg gefunden sich mental und emotional von ihm zu befreien, ohne gegen ihn kämpfen zu müssen. Ich wünschte nur, wir hätten diese Möglichkeit früher herausgefunden. Sie hat furchtbar gelitten. Es hat ihr seelische und körperliche Schmerzen bereitet ihm nicht zu gehorchen. Das ist die Natur von persönlichen Schöpfungen«, erklärte er und sah Anna dabei wieder an. »Sie sind dem, der sie erschaffen hat, hörig und treu bis in den Tod. Das ist auch der Grund, warum sie sich euch auch weiterhin nicht zeigen wird. Sie gehört nach wie vor ihm und sie hat Angst davor etwas zu tun, das er von ihr verlangt und das euch schaden würde. Sie würde es nicht merken, weil seine Wünsche ihr Begehren sind. So war es immer.«
Anna senkte den Kopf. Sie würde sie also auch in Zukunft nicht sehen können. »Gibt es gar keinen Weg?«, fragte sie bedrückt.
»Warten wir es ab«, sagte Vhan. »Sie ist erst seit ein paar Tagen ruhig. Im Moment müssen wir uns auf den Plan konzentrieren. Ihr seid hier, weil Angor nicht erfahren darf, dass ihr noch lebt. Er würde erneut die ganze Familie vernichten wollen. Sie dürfen euch also nicht finden, wenn sie hier einmarschieren.«
Anna und Walt sprangen gleichzeitig wieder auf. »Was ist mitMia?« Anna schrie fast vor Angst um sie.
Vhan stand auf und hob beruhigend eine Hand, an der Walt ein auffällig großer Siegelring auffiel. »Sie ist bei Ramon in Sicherheit. Wir haben einen Weg gefunden, sie vor Angor zu verstecken. Aber sie muss diesen Weg allein gehen, sonst fliegt alles auf. Niemand darf von eurer oder von Reces Existenz erfahren.«
»Rece«, hauchte Anna mit glasigen Augen. »Wo ist er? Er hat gesagt, er verfolgt einen eigenen Plan, um Mia zu schützen!«
Vhan nickte wissend. »Ich weiß. Emilia ist bei ihm. Sie versucht ihn gerade davon abzuhalten.«
Anna blickte ihm verständnislos entgegen. »Was?«, hauchte sie. »Wieso?«
»Weil er vorhat sich für Mia zu opfern.«
Emilia. Ein so wohlklingender Name. Er hatte ihn schon lange nicht mehr auf diese Weise ausgesprochen. Mit dieser Bedeutung und dieser Geschichte, die in jedem Buchstaben mitschwang. Sie war so schön wie damals. Auch, wenn er ihr ansah, dass sie eine schwere Zeit hinter sich hatte. Die Trennung von Angor hatte sie schwer mitgenommen. Das konnte er spüren. Sie wirkte kälter als zuvor. Härter. Doch auch mächtiger. Sie standen in einem Ödland, weit im Norden, und sahen sich an. Die Erinnerungen an längst vergangene
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