Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emilia - Herzbeben

Emilia - Herzbeben

Titel: Emilia - Herzbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Nell
Vom Netzwerk:
weinen zu sehen. Jeden Schmerz spürte er am eigenen Leib und jede Träne stach ihm wie ein Messer in die Seele. »Mia, halte durch! Das geht vorbei!«
    Wieder schrie sie auf. Ein spitzer, schmerzerfüllter Schrei, der ihm wie ein Blitz durch den Körper schoss. Er schlug wütend gegen das Lenkrad, fuhr in die Straße hinein und hielt noch weit vor Walts Haus am Fahrbahnrand auf dem schmalen Streifen Wiese an. Schnell stieg er aus, lief um den Wagen herum und öffnete Mias Tür. Ihr ganzer Körper war verkrampft. Sie hielt sich den Bauch fest und presste ihren Kopf in das Polster. Es kam einklägliches Jammern zwischen ihrem hastigen Atem aus ihrer Kehle. Ramon lehnte sich zu ihr vor und nahm ihre Arme, um sie aus dem Wagen herauszuziehen, doch da riss Mia plötzlich die Augen auf und sog erschrocken die Luft ein. Ramon stockte und ließ sie sofort los. Hatte er ihr weh getan?
    Mia sah erschrocken seine Hände an. Dann griff sie blitzschnell nach seinem Arm und zog ihn wieder an sich. Sie nahm seine Hand und legte sie wie zuvor auf ihren Arm. Ramon blickte ihr ratlos ins Gesicht. Doch dann begriff er. Er fühlte, wie ihr Schmerz nachließ. Ihre Haut kühlte ab und ihr Körper wurde ruhig. Seine Hand fühlte sich für sie an wie Eisregen, der ihr Feuer löschte. Sie verstand es selbst nicht. Aber seine Berührung wirkte heilsam auf sie. Dann nahm sie seine andere Hand und führte sie zu ihrem Gesicht. Er ließ sie einfach machen. Er wollte ihr helfen. Als er ihre feuchte Wange berührte, stöhnte sie auf, schloss die Augen und ließ ihren Kopf zur Seite fallen. Seine Hand kühlte ihr Gesicht wie eine Eispackung. Er verstand es nicht. Er hatte doch dieselbe Körpertemperatur, wie sie. Er hatte keine kühle Haut, so wie die Vampire. Was war es, das ihr die Schmerzen nahm? Er betrachtete sie stirnrunzelnd, wie sie da saß, völlig erledigt, müde und absolut selig. Dann fühlte er sich in sie hinein und erkannte, dass es in ihr immer noch bebte. Der Schub, den sie erlitt, war noch nicht vorbei. Ihre Knochen dehnten sich immer noch aus, ihre Organe veränderten sich und ihre Sinne schärften sich. Das konnte er deutlich spüren. Aber sie hatte keine Schmerzen mehr. Er konnte es sich nur damit erklären, dass sie sich nicht mehr dagegen wehrte. Das hatte damals auch ihm die Schmerzen genommen. Aber warum hatte sie erst aufgehört sich zu wehren, als er sie berührt hatte?
    »Was«, hauchte sie auf einmal schläfrig, »passiert mit mir?«
    Ramon sah sie stumm an. Wie sollte er ihr das erklären? Als sie keine Antwort von ihm hörte, öffnete sie ein wenig die Augen und sah ihn an. Ihre Augen waren glasig und sie waren beide schwarz, was ihn vermuten ließ, dass sie sich in etwas Ähnliches verwandeln würde, wie er. Auch seine Augen wurden schwarz, wenn er wütend war oder Schmerzen hatte. Genauso, wie seine Augen blutrot wurden, wenn ihn die Blutgier packte. Aber siewürde dennoch anders sein. Er war in dieses Wesen verwandelt worden. In ihr steckte es schon von Geburt an. Und jetzt brach es aus ihr heraus. »Du verwandelst dich«, sagte er vorsichtig und leise.
    Sie war zu schwach, um angemessen darauf zu reagieren. Sie erschrak nicht. Sie zog nur verwirrt die Augenbrauen zusammen. »Was?«, hauchte sie.
    Es wehte ein kühler Abendwind angenehm in das innere des Wagens. Er roch nach Moos und Tannen, nach Regen und Holz. Und nach … ihrer Mutter. Mia hob den Kopf und sah durch die Windschutzscheibe. Sie konnte sie deutlich riechen. So, als sei sie gerade hier vorbei gelaufen. Und sie roch auch ihren Großvater. Ramon folgte ihrem Blick. Und in dem Moment bemerkten sie beide, dass die Tür von Walts Haus offen stand. Das Licht, das im Flur brannte, schien in den Vorgarten. Ramon stand sofort auf und lauschte. Sie waren nicht zu hören. Keiner von ihnen.
    Mia schob ihn jetzt zur Seite und stieg stolpernd aus dem Wagen aus. »Wo sind sie?«, fragte sie ihn, während sie das Haus anstarrte, das noch drei Wohnhäuser weit entfernt lag.
    In diesem Moment nahm Ramon ihre Hand, schlug die Autotür zu und lief mit ihr los. Er versuchte Rücksicht auf ihre wackeligen Beine zu nehmen, aber mit jedem Schritt stieg mehr und mehr die Panik in ihm auf und ließ ihn schneller werden. Überraschenderweise konnte Mia aber mit ihm mithalten. Sie hatte ebenfalls Angst. In ihrem Kopf entstanden die verrücktesten Horrorszenarien. »Ihr ist nichts passiert«, sagte Ramon zu ihr, als sie den Vorgarten erreichten. Der Wagen ihrer Mutter und auch

Weitere Kostenlose Bücher