Emilia - Herzbeben
letzten Moment doch noch umsetzen und Angor vernichten. Auch, wenn er dabei selbst vernichtet werden würde. Er konnte nicht zulassen, dass er seine Tochter bekam. Das Problem war nur, dass Emilia ihn nicht gehen lassen würde, selbst wenn es eskalierte und ihr Plan scheiterte. Er musste es in Betracht ziehen, sie doch noch zu töten.
»Keine Sorge«, sagte Emilia zuversichtlich. »In diesen Gewissenskonflikt gerätst du nicht. Denn ich lasse dich nicht in die Gestalt zurück, die dich in die Lage versetzt, mich zu töten. Egal, was passiert.« Ihr Blick wurde jetzt wieder todernst. »Dazu liebe ich dich zu sehr, Recedere.«
25
Als sie aufwachte, schien die Morgensonne rot in den Raum und versank in seinem dunklen Haar. Ihre Hand ruhte immer noch auf seinem Arm, der lang ausgestreckt neben ihr auf dem Sofa lag. Sein Kopf lehnte auf seiner Schulter und seine Augen waren geschlossen. Mia betrachtete sein Gesicht. Seine weiße, makellose Haut, die dunklen Wimpern, die sanft seine Wangen streichelten, den sinnlichen Mund, der wunderschöne Zähne zum Vorschein brachte, wenn er lächelte. Sie kannte ihn. Irgendwoher kannte sie ihn. Doch je mehr sie sich versuchte zu erinnern, umso mehr schienen die Bilder davon zu driften, die sie versuchte zurückzuholen. Sie musste ihm schon einmal begegnet sein. Irgendwann. Irgendwo. Und diese Begegnung musste so warm und tiefgehend gewesen sein, dass sich immer noch und immer wieder etwas in ihr regte, wenn sie ihn ansah. Etwas Unbekanntes und Großes. Etwas, das sie am liebsten gelöscht hätte wie einen lästigen Computervirus. Seine wohlgeformten Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie das dachte. Sie war wütend. Auf ihn, auf ihre Mutter, auf ihre gesamte Familie! Sie ließ seinen Arm los, der ihre Haut die ganze Nacht gekühlt hatte und schob sich ihre Hand unter den Kopf. In diesem Moment öffnete er die Augen und sah sie an.
»Du warst drei, als wir uns das letzte Mal gesehen haben«, erzählte er mit ruhiger Stimme. »Ich habe dich Nachts besucht, habe an deinem Bett gesessen und über dich gewacht. Und manchmal bist du wach geworden«, erzählte er, »hast mich angesehen, mit meinen Haaren gespielt oder«, er richtete sich jetzt auf und hob seine Hand, »meine Hand genommen und sie unter deinen Kopf gelegt, um weiterzuschlafen.«
Mia wurde rot und ihr Herz begann zu beben. Es raste nicht. Es bebte! Genauso, wie es gebebt hatte, als er gestern bei Jan auf sie zu marschiert war. Es löste ein seltsames Gefühl in ihr aus. Ein warmes Gefühl, das aus ihrer Mitte kam. Doch sie verdrängte es und sah ihn wütend an. Sie dachte, es sei nur ein Spruch gewesen, als er gesagt hatte, dass er schon ihr ganzes Leben lang an ihrer Seite war. Sie hätte nicht gedacht, dass er seit ihrer Kindheit an ihr klebte wie ein Schatten!
»Seit deiner Geburt«, berichtigte er sie und lächelte frech.
Mia wich beschämt mit dem Kopf zurück. »Kommst du etwa immer noch Nachts in mein Zimmer?« Auf einmal fiel ihr der Einbrecher ein. Sie riss erschrocken die Augen auf, doch er hob sofort entschuldigend die Hände.
»Ich habe dich nicht erschrecken wollen!«, sagte er. »Aber es war spät und du hast mit deinen Recherchen ein bisschen zu viel herausgefunden. Ich wollte einfach, dass du ins Bett gehst.«
Mia stand vor Empörung der Mund offen. Sie sprang auf, hüpfte über die Sofalehne und lief zur Treppe. »Du bist nicht meine Mutter! Ich entscheide, wann ich ins Bett gehe, du Stalker!«, rief sie, als sie hinauf rannte.
Ramon lief ihr nach und konnte sich ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen, als er ihre Hochwasserhosen und die viel zu kurzen Ärmel ihres Sweatshirts sah. »Es tut mir leid, Mia«, sagte er. Doch sie knallte ihm direkt vor der Nase die Tür zu.
»Wehe du kommst rein!«, rief sie.
Ramon stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab und wartete. Er hörte, wie sie hin und her lief und sich die tosenden Gedanken in ihrem Kopf gegenseitig den Rang abliefen. Als sie sich dann im Schrankspiegel sah und kurz aufschrie, öffnete er die Tür und kam rein.
»Ich hab gesagt bleib draußen!« Sie stand mit einem völlig entgleisten Gesicht vor dem Spiegel und sah ihn mit einer Mischung aus Wut und hilfesuchendem Flehen an.
»Wenn du schreist, komme ich zu dir«, sagte Ramon. »Egal, was du sagst.«
Mia sah an sich hinunter. »Was ist mit meinen Sachen passiert?« Ihr war alles viel zu kurz und viel zu eng. Ihr Sweatshirt lag fasthauteng an ihrem Oberkörper und ihre Hose
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