Emily, allein
sie wünschte sich, dass sie einen guten Preis erzielten. Es war tröstlich zu wissen, dass die Enkelkinder von ihrer teuersten Investition profitieren würden. Nichts anderes beabsichtigten Jamie und Terry. Ihnen das anzulasten, war ungerecht.
«Ich glaube nicht, dass sie auch nur annähernd so viel bekommen», sagte sie zu Arlene. «Nicht bei der augenblicklichen Marktlage.»
«Die Küche ist wunderschön. Für so eine Küchenzeile würde ich alles geben.»
«Aber es hat nur drei Schlafzimmer.»
«Du solltest mal sehen, was man hier für drei Zimmer verlangt - kleine Zimmer. Das ist verrückt.»
«Ich verstehe das nicht», sagte Emily. «Aber ich verstehe auch nicht, warum die Eigentumswohnungen in Beechwood eine halbe Million kosten sollen, falls sie sich wirklich verkaufen. Und die Stadt kann inzwischen nicht mal mehr die Feuerwehrleute bezahlen.»
«Trotzdem bauen sie den Tunnel zum North Shore weiter.»
«Alles Geldverschwendung.»
«Ich bin froh, dass ich eine Wohnung habe», sagte Arlene. «Wenn ich jetzt irgendwas in meiner Straße kaufen wollte, könnte ich’s mir nicht mehr leisten.»
«Dabei haben wir zurzeit einen Käufermarkt.»
Sie erzählte Margaret von der Website, als sollte sie sich umgehend einloggen und Emilys Überlegungen bestätigen, doch Margaret war gerade ziemlich durcheinander. Sarah hatte ihren Job verloren und sprach davon, wieder nach Hause zu ziehen. Reflexartig sagte Emily, wenn sie irgendwie helfen könne, würde sie das mit Freuden tun. Doch wie immer ließ Margaret sie abblitzen, als könne sie mit ihren Problemen allein fertig werden.
Kenneth, der nicht so gern über sich selbst sprach, war eher geneigt, auf sie einzugehen. Er fand den Preis für ein Haus dieser Größe, in dieser Gegend, in Ordnung. In den Bostoner Vororten könne es mit so einem Grundstück mehr als eine Million kosten.
«Wir sind hier nicht in Boston», sagte Emily. «Weißt du, was ich erstaunlich finde? Sie haben bloß einen 100-Ampere-Anschluss. Man sollte meinen, den hätten sie irgendwann nachrüsten lassen. Der Heizkessel und der Warmwasserbereiter scheinen auch schon bessere Tage gesehen zu haben. Auf den Fotos kann man das nicht richtig erkennen.»
«Mom, hast du vor, ein Angebot abzugeben?»
«Red nicht so neunmalklug.»
Er entschuldigte sich beiläufig, und sie hatte das Gefühl, überempfindlich zu sein, und betrachtete das Thema als erledigt. Warum glaubte sie, das Ganze könnte irgendwen interessieren?
In der Woche vor der Vorwahl stand auf der Website, am Sonntag finde eine öffentliche Hausbesichtigung statt. Der Makler kam vorbei und hängte ein weiteres Schild auf. Jetzt hielten zu jeder Tageszeit Autos, aus denen Leute ausstiegen, um Fotos zu machen. Die Dreistesten gingen direkt auf die Veranda und fotografierten durchs Wohnzimmerfenster. Emily versuchte, das Haus mit deren Augen zu sehen, als könnte sie sich dort eine neue Zukunft vorstellen. Ein berufstätiges Ehepaar mit kleinen Kindern. Sie wären versessen auf Schiebetüren und eingebaute Bücherschränke, wüssten aber auch die Gästetoilette neben der Küche und den ausgebauten Keller zu schätzen. Emily hatte das Haus immer bezaubernd gefunden, und es würde sich zweifelsohne verkaufen lassen, vielleicht nicht zum geforderten Preis, aber es würde letztendlich klappen, und das war gut. So sehr ihr Kay und die alten Zeiten auch fehlten, das Haus stand schon zu lange leer.
Betty sagte, das Haus sei mit Sicherheit schön, doch es übersteige ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem. «Irgendwer hat bestimmt so viel Geld. Aber ich nicht.»
«Wissen Sie, wie viel wir für unser Haus bezahlt haben?», fragte Emily. «Sechzehntausend. Und das haben wir für eine Riesensumme gehalten.»
«War es damals wohl auch.»
«Weiß Gott! Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem wir es abbezahlt hatten. Henry schrieb den Scheck aus, und dann haben wir eine Flasche Champagner geöffnet.»
«Das war bestimmt ein gutes Gefühl.»
«Ja, wem sagen Sie das», erwiderte Emily. Doch warum fühlte sie sich dann unwohl, als sie und Betty aufgeräumt hatten und sich wieder an die Arbeit machten?
Jene Welt war verschwunden, so sicher wie das Kersey ihrer Kindheit, obwohl sie sich an die Gesichter ihrer Nachbarn und deren Kinder noch genauso deutlich erinnern konnte wie an das Gesicht ihrer Mutter. Wenn das Haus der Millers verkauft war, würde sie offiziell die einzige Überlebende jener Welt sein. Vermutlich war die Alternative
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