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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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plötzlich wandten sich alle Justin zu, der stumm und leidend vor seinem leeren Teller saß.
    «Justin kümmert sich ums Geschirr», sagte Margaret, und er gehorchte wortlos und verschwand anschließend.
    Draußen flackerte das Licht der Cole’schen Weihnachtsbeleuchtung über den Garten.
    «Ich wünschte, wir hätten den Baum aufgestellt», sagte Emily.
    Margaret versprach, dass sie es am nächsten Tag alle gemeinsam tun würden. Sie würde früh aufstehen und French Toast zubereiten. Wenn es kalt genug sei, könnten sie, wie in alten Zeiten, den Kamin anzünden.
    Arlene musste los; sie schlief allmählich ein. Wann sollte sie am Morgen vorbeikommen?
    Sie verabschiedeten sie und winkten von der Tür aus. « Fahr vorsichtig!»
    Margaret wollte ihr Buch lesen, und obwohl Emily gern noch aufgeblieben wäre, um zu reden, war sie damit zufrieden, wie der Abend geendet hatte.
    «Vielleicht können wir uns morgen mal hinsetzen und ein paar Sachen durchgehen, die Gordon für mich zusammengestellt hat.»
    «Wolltest du das jetzt noch erledigen?»
    «Nein, morgen ist in Ordnung.»
    «Okay. Träum was Schönes.»
    «Du auch, Liebes.»
    Margaret ging nach oben und überließ es Emily, Rufus noch mal rauszulassen und unten alles abzuschließen. Als junge Mutter hatte Emily sich von ihren Kindern einen Kuss gewünscht, bevor sie zu Bett gingen - auch Henry hatte einen bekommen -, doch als die beiden das Jugendalter erreichten, hatte sie den Brauch aufgegeben. Jetzt wünschte sie, sie könnte Margarets Gesicht in beide Hände nehmen wie damals und ihr einen theatralischen Schmatzer auf den gespitzten Mund geben - «Mmwa!»
    Noch immer in diesen Tagtraum versunken, ging sie an Henrys Arbeitszimmer vorbei und sah, dass Justin am Schreibtisch saß und auf seinem Laptop tippte. Sie hatte gedacht, er sei oben. Im Profil erinnerte er sie an Henry, dasselbe ausgeprägte Kinn, und sie stellte sich vor, dass es irgendwo ein Mädchen gab, das ihn trotz seiner Unbeholfenheit und seines schrecklichen Haars lieben würde.
    «Hallo?», sagte sie. Mit den Ohrstöpseln konnte er sie nicht hören, und sie musste den Lichtschalter betätigen.
    «Hey, Gram.»
    «Was machst du da?»
    «Seh mir das Hubble an.»
    «Was ist das?»
    «Das Hubble-Teleskop? Es gibt da eine Website, auf der man sehen kann, was sie gerade betrachten.»
    Er beugte sich zur Seite, damit sie den Bildschirm sehen konnte. Es sollte eine Galaxis sein, doch sie konnte bloß einen weißen Fleck am Nachthimmel erkennen.
    «Ist es das, was du mal machen willst - den Weltraum erforschen?»
    «Wenn’s klappt», sagte er. «Das schaffen nicht viele Leute.»
    «Wenn du es willst, dann schaffst du es auch.» Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. «Bleib nicht mehr so lange auf.»
    «Okay.»
    «Träum was Schönes.»
    «Du auch», sagte er.
    Sie musste für ihn das Dielenlicht, die Lampe im Treppenhaus und das Nachtlicht im Bad anlassen, und das störte sie, weil sie es gewohnt war, alles auszuschalten. Der Abfallkorb im Bad war vollgestopft mit Sarahs Papiertaschentüchern, am nächsten Morgen eine leichte Beute für Rufus, und seufzend zog sie die Giant-Eagle-Plastiktüte heraus, knotete die Tragegriffe zusammen, trug die Tüte nach unten und brachte eine neue mit.
    Als sie sich in ihrem eigenen Bad gerade das Gesicht trocken tupfte, bevor sie ihre Feuchtigkeitscreme auftrug, hörte sie eine Stimme und erstarrte, das Handtuch ans Kinn gedrückt. Aus dem Lüftungsgitter in der Ecke drang der Ton des Fernsehers in Margarets Zimmer. Im Bett konnte sie die aufgeregten Gespräche immer noch leise hören und übertönte sie mit dem Radio. War der Tag nicht lang genug gewesen? Es ist meine Schuld, dachte sie. Sie war es gewohnt, allein zu leben. Obwohl sie alle von ganzem Herzen liebte, hatte sie vergessen, wie anstrengend andere Menschen sein konnten.
     
    Irdische Besitztümer
     
    Eine der Sorgen in Emilys Leben bestand darin, dass ihre Kinder nicht gut mit Geld umgehen konnten. Während es in der Wirtschaft Auf- und Abschwünge gab, machten die beiden ständig Verluste. Egal, wie erfolgreich sie waren oder wie viele Stunden sie arbeiteten, sie konnten nichts sparen.
    Da Emily aus einem Ort stammte, in dem es buchstäblich eine falsche Seite der Bahngleise gab, hatte sie in der Grundschule Freundinnen gehabt, die geflickte, ausgeblichene Altkleider trugen und die Löcher in ihren Schuhen mit Pappe zustopften. Das war keine Schande, sondern der gelungene Versuch, ein anständiges Leben zu

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