Emily, allein
ankündigte, warteten sie und Louise mit großen Hoffnungen auf die erste Folge. Der Detektiv wurde vom selben Schauspieler dargestellt, das Szenenbild war ähnlich aufwendig gestaltet, und doch verspürte Emily beim Zuschauen eine hilflose Sehnsucht nach der früheren Fassung, als sei in den dazwischenliegenden zehn Jahren etwas unwiederbringlich verlorengegangen.
Jetzt, wo Louise tot war und Masterpiece Theatre über ihre Schlafenszeit weit hinausging, schaute sich Emily regelmäßig nur noch die Morgen- und Abendnachrichten an, meistens wegen des Wetters, doch in letzter Zeit hatte auch der Präsidentschaftswahlkampf ihr Interesse geweckt. Ihr war klar, dass sie anders war, dass sie freiwillig einen großen Teil der Kultur versäumte. Arlene hatte ihre Seifenopern und machte tagtäglich nach dem Abendessen bei jeopardy! und Wheel of Fortune mit, und Emily hatte gesehen, wie das Fernsehen die Kinder in Bann schlug, doch für sie hatte es nichts Verlockendes. Sie betrachtete ihre Enthaltsamkeit nicht als persönliche Tugend, sondern schätzte sich glücklich, dass sie es sich niemals angewöhnt hatte, genau wie das Rauchen.
Vor ein paar Jahren hatte ihr Kenneth zu Weihnachten einen zu ihrem Videorecorder passenden DVD-Player geschenkt. Er hatte all ihre auf Super 8 und VHS gedrehten Amateurfilme auf sechs dünne DVDs kopiert, ein wunderbares Geschenk, doch außer bei jenem Besuch hatte Emily sie kein einziges Mal aus der schönen Mappe geholt. In diesem Jahr, denn so etwas merkte sich Kenneth, hatte er ihr - zusammen mit all den anderen nutzlosen Kostbarkeiten - die komplette Lord-Peter-Sammlung geschenkt, ein Boxset mit allen Folgen ihrer Lieblingsstaffeln aus den siebziger Jahren.
Schon der Gedanke, sich mit einem Glas Wein hinzusetzen und die Filme zu genießen, war herzerwärmend. Auch wenn es unmöglich war, wünschte Emily, sie könnte in die Vergangenheit zurückkehren und sich die Filme zusammen mit Louise zum ersten Mal anschauen. Sie malte sich aus, ganz vorn anzufangen und sich auf eine Folge pro Woche zu beschränken, damit sie lange etwas davon hatte. Montagabends überlegte sie manchmal, die Mappe zu öffnen und eine DVD einzulegen. Es war jetzt dreißig Jahre her. Bestimmt gab es viel zu entdecken. Sie hatte es vor - ganz ehrlich -, denn es war unglaublich aufmerksam, dass er daran gedacht hatte, und sie liebte die alten Filme wirklich, doch immer gab es irgendwas, um das sie sich kümmern musste. Danach war sie meistens so müde, dass sie vor dem Eindösen gerade noch ein paar Zeilen lesen konnte, und aus irgendeinem Grund ließ sie die Sammlung, als der Januar in den Februar überging, bei den Amateurfilmen in der Fernsehtruhe stehen, wo sie auch blieben, eine angenehme Erinnerung, unberührt in ihrer Plastikfolie.
Stromausfall
Das Murmeltier lag falsch. Bis zum Frühling würde es noch mindestens sechs Wochen dauern, bis Ostern noch länger. Es war die dunkle Zeit des Jahres, vor der es Emily graute, die Aussicht auf besseres Wetter ein Hohn, während eine deprimierende Wetterfront nach der anderen über die Großen Seen hinwegfegte. Schnee, Schneeregen, Regen, Nebel. Alle paar Tage kam die Sonne heraus, und der Schneematsch schmolz, nur um nachts wieder zu überfrieren, was auf dem Parkway zu Massenkarambolagen führte und den Hügel, an dem sie wohnte, unbefahrbar machte. Nicht einmal der Subaru wurde mit Blitzeis fertig, und statt Leib und Leben zu riskieren, blieb sie im Haus, und auf der Liste am Kühlschrank entstand eine zweite Spalte.
Der Schnee verharschte, sodass Rufus mit den Beinen einsackte, wenn er seine üblichen Stellen im Garten zu erreichen versuchte, und bis zur Hundemarke im Schnee versank. Sie hatte Angst, er könnte sich verletzen, und rief Marcia an, um zu fragen, ob Jim nach der Arbeit mal mit seiner Schneefräse vorbeikommen und einen Weg freiräumen könne. Marcia erledigte es selbst, in Jogginghose und olivgrünen Gummistiefeln. Buster weigere sich, bei diesem Wetter vor die Tür zu gehen, erklärte sie, als sei er klug und nicht bloß verwöhnt, doch Emily war dankbar, bot Marcia einen Kakao an, und die beiden machten es sich gemütlich.
Emily bedankte sich, vielleicht zu unterwürfig, und beteuerte, dass sie es allein nie geschafft hätte.
«Bitte», sagte Marcia, «jederzeit. Wenn wir sonst noch was tun können, sagen Sie ruhig Bescheid.»
«Vielleicht könnten Sie, wenn es nicht zu viel Mühe macht, noch ein bisschen Kaminholz hereinholen?»
Emily
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