Emily, allein
so eine Kleinigkeit wie einen Kratzer ausbessern zu lassen, aber ihr Schlachtschiff hatte natürlich schon 350 000 Kilometer auf dem Buckel, während Emilys Wagen brandneu war. Wie immer, wenn sie Kenneth um Rat fragte, breitete er seinen Erfahrungsschatz aus, legte seine Argumente dar und nahm, wenn er weiter nachdachte, eine vollkommen gleichgültige Haltung ein, als seien die Entscheidung und deren Folgen allein ihre Sache, was ja auch stimmte. Sie wünschte sich, dass er ihr sagte, was sie tun sollte - wie Henry es getan hätte, weil Autos in seinen Kompetenzbereich fielen -, doch Kenneth wollte ihr keine Vorschriften machen, und als sie auflegte, war sie noch frustrierter als vorher.
Margaret konnte das Ganze nachempfinden. Bei ihrem Kleinbus mache das Getriebe wieder Probleme. Der Kostenvoranschlag übersteige den Wert der verdammten Karre, aber sie habe nicht genug Geld für einen neuen Wagen, deshalb lasse Ron sie vorerst seinen BMW fahren, eine Regelung, bei der sie sich nicht ganz wohl fühle, wenn man bedenke, auf was für unsicheren Beinen ihre Beziehung noch stehe, doch sie habe keine Lust, näher darauf einzugehen. So sehr Emily auch an Margarets Liebesleben interessiert war, musste sie doch feststellen, dass ihre Tochter sie mal wieder ausgestochen und Emilys Probleme unausgesprochen heruntergespielt hatte, und statt sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren, wechselte sie das Thema.
Betty empfahl etwas, das sie im Fernsehen gesehen hatte. Man drückte einen Klecks dieser Mischung auf den Kratzer und ließ ihn dort eine Viertelstunde einwirken. Die Chemikalie löste den Lack, und wenn man ihn verrieb, überdeckte man den Kratzer mit der Originalfarbe. Dazu brauchte man bloß einen Lappen. Toni habe das Zeug bei ihrem Beretta verwendet, und jetzt sehe der Wagen wieder aus wie neu. Betty hatte die Tube noch irgendwo herumliegen. «Bevor Sie es benutzen», sagte sie, «sollten Sie es unbedingt an einer Stelle des Wagens ausprobieren, die nicht zu sehen ist, zum Beispiel an der Türkante oder so.»
Normalerweise war Betty die Stimme der Vernunft, doch in diesem Fall genügte ein Blick auf ihren klapprigen kleinen Nissan, um ihren Vorschlag für untauglich zu erklären. Emily bedankte sich für ihr Angebot, als könnte sie später darauf zurückkommen, doch sie habe sich noch nicht entschieden.
Nachdem man sie bei ihrer Versicherung zweimal weiterverbunden und in die Warteschleife geschaltet hatte, wurde ihr mitgeteilt, die Reparatur sei abgedeckt, aber natürlich müsse sie erst ihre fünfhundert Dollar Selbstbeteiligung ausschöpfen. Ob sich ihre Prämie ändere, wenn sie einen Schadensanspruch geltend mache, konnte ihr die Angestellte (Alicia, Emily hatte sich den Namen notiert, um einen Beleg für das Gespräch zu haben) nicht sagen. Das hänge von mehreren Faktoren ab. Ob sie mit einem Schadenssachverständigen sprechen wolle.
Wieder einmal stand sie vor dem klassischen Dilemma: Der einmalige Betrag gegen die endlose monatliche Zahlung. In ihrem Alter musste bei jeder finanziellen Entscheidung, die sie traf, ihre Lebenserwartung berücksichtigt werden, als würde sie gegen sich selbst wetten. Die Vorstellung, dass außer ihren Kindern jemand von ihrem Tod oder ihrem mangelnden Scharfsinn in der Angelegenheit profitieren sollte, war beleidigend, doch ganz oft lief es darauf hinaus.
«Nein, danke», sagte sie, und als sie aufgelegt hatte, staunte sie wieder darüber, wie die Versicherungsbranche arbeitete. Im Grunde genommen versicherten sie sich selbst dagegen, irgendwelchen Forderungen nachkommen zu müssen. Man konnte sich nur schadlos halten, dachte sie, indem man die Zentrale niederbrannte und die Versicherung zwang, eine Forderung bei ihrer eigenen Versicherung einzureichen. Doch dann würden natürlich beide einfach den Beitrag erhöhen - wie die Ölfirmen, die ihre Kosten, aber nicht ihre Rekordgewinne an den Verbraucher weiterreichten.
Am nächsten Tag machte sie einen Termin beim Autohaus, da sie das ungelöste Problem nicht länger ertragen konnte, und fuhr am folgenden Montag bei Sprühregen zur McKnight Road hinaus, wo sie mit einer wechselnden Besetzung anderer Subaru-Besitzer zwei Stunden in einem stickigen Raum warten musste, während im Fernsehen idiotische Talkshows liefen.
Die Rechnung lag knapp unter fünfhundert Dollar, also war es die richtige Entscheidung gewesen, keinen Schadensanspruch geltend zu machen. Doch das war kein Trost. Seltsamerweise galt das auch für die
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