Emily, allein
makellose Lackierung der Fahrertür. Als der Wagen noch neu war, hatte sie sich oft dabei ertappt, wie sie in dem dunkelblauen Klarlack ihr Spiegelbild bewunderte. Statt sich an der Perfektion zu erfreuen, sah sie jetzt jedes Mal, wenn sie die glänzende Oberfläche betrachtete, nur den Makel der verlorenen vierhundertachtundsiebzig Dollar und schwor sich, nie wieder so sorglos zu sein.
Zeitumstellung
Als Emily am Samstagabend Rufus ein letztes Mal rausgelassen hatte, stellte sie die Wanduhr in der Küche eine Stunde vor. Sie hatte am Kamin ein Glas Wein getrunken und hoffnungsvoll an den Reglern von Herd und Mikrowelle herumhantiert, deren blaue Ziffern an der richtigen Uhrzeit vorbeigerast waren, bevor sie sie anhalten konnte, und nun musste sie alles noch mal durchlaufen lassen.
Die Nachrichtensprecher brauchten sie nicht an die Zeitumstellung zu erinnern. Sie hatte den ganzen Tag darauf gewartet. Es war der einzige Eintrag auf ihrem Kalender. Gott, dachte sie, wenn das keine traurige Feststellung ist. Bei der Standuhr nahm sie den Vierkantschlüssel, steckte ihn in das mit dem Himmel bemalte Zifferblatt, drehte ihn leicht und ließ aus Angst, sie könnte den Mechanismus beschädigen, die Uhr zu Ende schlagen, bevor sie fortfuhr.
«Geh schon rauf», forderte sie Rufus auf, der sie von der anderen Seite des Zimmers her betrachtete. «Ich komme auch gleich.»
Er ging und überließ ihr die Feinabstimmung des Weltalls. Eigentlich sollte man seine Uhren um zwei Uhr morgens umstellen - als würde es dann niemand merken, wie sich Margaret beschwert hatte, die in der fehlenden Stunde anscheinend eine persönliche Kränkung sah. Im Gegensatz zu Margaret fühlte sich Emily nicht um eine Stunde betrogen. Sie betrachtete die Sommerzeit als Neubeginn, wie das Drücken einer Reset-Taste. Zu diesem Zeitpunkt des Winters hätte sie alles getan, um die Jahreszeit voranzutreiben. Mit jeder Drehung des Schlüssels kam sie Ostern und Kenneths Besuch ein Stück näher.
Oben stellte sie die Banjo-Uhr im Hobbyraum, die alten, weißziffrigen Radiouhren in den Kinderzimmern und schließlich die zuverlässige Uhr auf ihrem Nachttisch um. Sie nahm Henrys Hamilton vom Handgelenk, zog den Stellknopf heraus, rollte dessen gerillten Rand zwischen Daumen und Zeigefinger und legte die Uhr auf die Frisierkommode.
Sie las eine Weile in einem mittelmäßigen Krimi aus der Bücherei, da sich ihr Körper noch nicht auf die Veränderung eingestellt hatte. Unten schlug die Standuhr vorzeitig elf Uhr. Emily wusste nicht mehr, wann sie zum letzten Mal so lange wach geblieben war, und versuchte, sich nicht von den Schlägen einschüchtern zu lassen. Der nächste Tag kommt noch früh genug, hatte ihre Mutter immer gesagt, als Aufforderung, das Little-Golden-Buch, das sie gerade las, wegzulegen und zu schlafen. Und dann hatte sie, genau wie jetzt, widerwillig das Lesezeichen ins Buch gelegt und das Licht ausgeschaltet.
Während sie da lag und über ihrer Schulter die falsche Uhrzeit leuchtete, dachte sie über das willkürliche, unbeständige Wesen der Zeit nach und darüber, dass sie in ihrem Alter davon fast nicht betroffen war. Der Gedanke gefiel ihr, als hätte sie etwas ganz Elementares entdeckt. Das Vorstellen der Zeit war das offizielle Eingeständnis, dass keine Uhr die Rotation der Erde um sich selbst oder um die Sonne, Geburt und Tod, die wechselnden Jahreszeiten, das Sprießen neuer Triebe je messen konnte. Obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum es ein Trost war, in diesem unerforschten Zwischenzustand zu schweben, gefiel ihr, dass die Zeit imaginär und formbar war, als könnte sie sich ihrem Zugriff entziehen, wenn sie ihr Geheimnis kannte. Doch als sie am nächsten Morgen erwachte, war es draußen noch dunkel, und sie hinkte eine volle Stunde hinterher. Sie musste sich beeilen, um rechtzeitig für die Kirche fertig zu sein, und verspätete sich, als sie Arlene abholte.
Die Blumenausstellung
Siekamen jedes Jahr, wie Pilgerinnen. Frauen in einem gewissen Alter, hatte Emilys Mutter sie genannt, eine höfliche Umschreibung für alte Schachteln. Monatelang hatten sie das Datum im Kopf behalten, die Einladung für Mitglieder am Kühlschrank befestigt, an der Pinnwand in der Küche. Das war der wahre Frühlingsanfang, das Treffen der ganzen Clique. Als Überlebende und überzeugte Fans strömten sie aus der ganzen Stadt zusammen, machten sich aus den schicken Vororten auf den anstrengenden Weg ins schmutzige Oakland und
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