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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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sein?»
    Sie schlenderten weiter.
    «Guck dir die mal an», sagte Emily.
    «Die sehen witzig aus.»
    «Sind das vielleicht Dreiblatt-Feuerkolben?»
    «Weiß ich nicht.»
    «Magst du Löwenmäulchen?»
    «Ja, die gefallen mir.»
    Im Fern Room schmückten schmalzige Streicher eine vertraute Melodie aus, die Emily nicht richtig einordnen konnte. «Was ist das für ein schreckliches Stück?»
    «Klingt wie Moon River.»
    «Warum spielen sie das hier bloß?»
    Als sie tiefer in den Regenwald vordrangen, wurde es drückend schwül. Im Orchid Room platschte ein Wassertropfen auf Emilys Schulter. Die Fenster waren beschlagen und weinten grüne Algenstreifen. Ventilatoren bliesen, und die schweren Farnwedel nickten.
    «Pass auf», sagte Arlene und schob einen Strang Louisianamoos zur Seite.
    «Danke.»
    Arlene blieb am Goldfischteich stehen - eine hausbackene Note inmitten der ganzen fremdländischen Gewächshauspflanzen, hatte Emily immer gedacht, doch die Kinder waren davon fasziniert gewesen und hatten Henry gebeten, hinten im Garten einen anzulegen, ein Vorschlag, den Emily erfolgreich zurückgestellt hatte, da sie wusste, dass der Teich, wie bei den Millers, schnell seinen Reiz verlieren und sich in eine Brutstätte für Stechmücken verwandeln würde. Die Fische ließen sich von ihrer Anwesenheit nicht stören und standen nahezu reglos im Wasser, und wenn sie träge mit der Schwanzflosse schlugen, verzerrte sich das gitterartige Spiegelbild der eisernen Deckenkonstruktion.
    Emily fand die Fische völlig uninteressant und schaute lieber Arlene dabei zu, wie sie lange und heftig in ihre Faust hustete, das Kinn hob und sich räusperte. Ihre Narbe war nur noch eine blassrosa Naht, die sich über ihre zerfurchte Stirn zog. Entgegen dem Rat ihres Arztes hatte sie das Rauchen nicht aufgegeben. Sie war wacklig auf den Beinen, ihr Sehvermögen ließ nach, und selbst im Ruhezustand keuchte sie wie eine Lungenkranke und atmete mit offenem Mund, die Schneidezähne voller Lippenstift. Sie war drei Jahre älter als Henry, und Henry war schon knapp sieben Jahre tot. Emily wusste, wie schnell sich die Gesundheit eines Menschen verschlechtern konnte, und fragte sich, ob der Vorfall im Eat ‘n Park eine einmalige Angelegenheit oder der Beginn eines unaufhaltsamen Abstiegs gewesen war.
    Sollte sie ihr sagen, dass sie sich Sorgen um sie machte?
    Sie konnte geradezu hören, wie Henry ja, unbedingt sagte, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Im Wagen würde sie dazu reichlich Gelegenheit haben, doch das rief Erinnerungen daran wach, wie sie in ihrem alten Kombi auf der Heimfahrt vom Ballettunterricht oder der Reitstunde versucht hatte, zu Margaret durchzudringen. Irgendwie war Emily nie behutsam, nie diplomatisch genug. Obwohl sie selbst dünnhäutig war, besaß sie die Gabe, genau das Richtige zu sagen, um die Situation noch zu verschärfen. «Meinst du, ich sollte froh sein, dass du nur suspendiert und nicht der Schule verwiesen wurdest?» Arlene könnte beleidigt oder verletzt sein oder bloß verärgert. Da sie gewusst hatte, wie schwer es ihr fallen würde, das Rauchen aufzugeben, hatte sie Emily gebeten, nicht schlecht von ihr zu denken, wenn es nicht klappte, und Emily hatte es versprochen. Doch darum ging es gar nicht. Wenn sie weiterrauchte, würde sie nicht mehr erleben, dass Emily schlecht von ihr dachte. Wollte sie das etwa? Emily wollte ihr wirklich keine Vorhaltungen machen. Aber so würde es klingen. Sie musste den richtigen Augenblick abwarten und dann eine ruhige Bemerkung frei von jeglichem Urteil machen. Das klingt nicht gut, könnte sie sagen, statt Du hörst dich ja schrecklich an. Oder Die Frau mit dem Rollator scheint gut klarzukommen statt Du wirst noch stürzen und dir irgendwas brechen, und dann steckst du wirklich in der Bredouille.
    FÜR ROLLSTÜHLE VERBOTEN, stand auf einem Schild vor dem Stove Room, STEIL ABFALLENDER WEG. Da Emily hinterhertrottete, trödelte sie, als wollte sie die Entscheidung Arlene überlassen. Der Weg führte bergab und beschrieb eine Kurve, auf einer Seite eine bemooste Felswand, aus der unten Wasser quoll. Arlene zögerte nicht, sondern griff nach dem Geländer, um sich festzuhalten.
    «Pass auf», warnte sie Emily, «hier ist es ein bisschen glitschig.»
    Unterhalb der Kurve kamen sie durch einen Tunnel, in dem es überraschend kühl und feucht war. Auf der anderen Seite stieg der Weg ganz gemächlich an. Emily hegte den Verdacht, dass sich die Verantwortlichen bloß absichern

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