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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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wollten.
    Das Highlight in diesem Raum war der Kakaobaum, dessen Name die Kinder begeisterte, der aber nicht so eindrucksvoll war wie die Bananenstauden mit ihren verlockenden grünen Fruchtständen.
    «Für mich sehen die immer verkehrt herum aus», sagte Arlene.
    «Ich hab mal gewusst, warum das so ist.»
    Sie hatten genug von Farnen und gingen durch den Serpentine Room und den Palm Court zum South Conservatory zurück, wo die Vorspiegelung nachgeahmter Natur von symmetrischen Beeten mit pastellfarbenen Tulpen und terrassenartigen, glitzernden Wasserbecken abgelöst wurde, die eine weitere schreckliche Glaskreation umrahmten. Der Sunken Garden mit seinen plätschernden Springbrunnen gefiel ihnen besser, obwohl ein schreiendes Kleinkind ganz anderer Meinung war. Emily war ein bisschen müde, hielt aber durch, da sie wusste, dass es nicht mehr viel weiter ging.
    Glücklicherweise gab es keine Musik im Desert Room - Kenneths Lieblingshalle, eine Hitze wie im Backofen, karge Felsen und eingetopfte Kakteen: Hasenohrkakteen, gedrungene Kugelkakteen und mannshohe Saguaros. Neben einer riesigen Aloe mit klingenartigen Blättern stand ein entblößter, abgesägter, etwa ein Meter zwanzig hoher Stamm mit einem Schild daran: ICH BIN NICHT TOT, SONDERN RUHE BLOSS. Das sollte wohl ein Witz sein, doch Emily fand es nicht komisch. Der Gedanke, dass der Satz auf sie zutreffen könnte, war ihr auf der Stelle zuwider.
    «Was steht da?», fragte Arlene und drängte sich näher, während Emily las: «Afrikanischer Traubenbaum. Wenn es Winter wird und die Menge des natürlichen Lichts abnimmt, verlieren Afrikanische Traubenbäume die Blätter und ruhen, genau wie der Ahorn oder die Eiche. Achten Sie auf die neuen Blätter, die im Frühling sprießen.»
    «Das ergibt einen Sinn.»
    «Anscheinend ist es noch nicht Frühling», sagte Emily.
    Als sie weitergingen, umgeben von strotzendem Grün, ließ ihr der kahle Stumpf keine Ruhe. Wie die herausgeputzten Gartenclubfrauen waren sie hergekommen, um Schönheit und Erneuerung zu preisen, um der Vollkommenheit zu huldigen und pingelig zu sein, doch jetzt fiel ihr auf, wie unaufrichtig das Ganze war. Wo waren die kranken und ausgetrockneten, die verdorrten und verwelkten Pflanzen? Versteckt, weggeworfen. Warum störte sie das? Lag es an dem Schild und ihrer voreiligen Ablehnung? Sie wusste, dass sie überempfindlich war und es persönlich nahm, doch je mehr sie über ihre Reaktion nachdachte, desto mehr ärgerte sie sich über den Afrikanischen Traubenbaum, als hätte derjenige, der ihn in die Ausstellung aufgenommen hatte, sie damit bloß verwirren wollen.
    Der Victoria Room war ganz in Schwarzweiß gehalten, mit dorischen Säulen und Gipsabdrücken von klassischen Statuen, die sich aus einem tintenschwarzen Teich erhoben. Vermutlich sollte das die Dekadenz der Botaniker aus der Zeit der Jahrhundertwende veranschaulichen, denen es letztlich gelang, schwarze Orchideen und Rosen zu züchten, aber warum wurden die Besucher (in diesem Fall zwei lärmende Jungen) ermuntert, an einem Schaltpult am Geländer herumzuspielen, mit dem die Springbrunnen reguliert wurden?
    Im East und im Broderie Room befanden sich ähnliche Dioramas, verspielte, skurrile Bühnenbilder, die einen in Erstaunen versetzen sollten, das eine ganz in Blau, das andere ganz in Weiß, mitsamt lebenden Schmetterlingen.
    «Das ist ja eine Zumutung», sagte Emily.
    «Mir gefallen die Schmetterlinge.»
    «Das ist aber auch so ziemlich alles.»
    Sie hatten den Hauptrundgang abgeschlossen, und ihnen taten die Füße weh. Sie waren sich einig, dass sie für diesen Tag genug gesehen hatten. Wenn es draußen wärmer war, würden sie wiederkommen und den japanischen und den aquatischen Garten besichtigen.
    «Das war schön», sagte Arlene und blickte über den Palm Court, während sie auf den Aufzug warteten.
    «Ist es doch immer», erwiderte Emily.
    Im Souvenirladen gab es nichts, was ihnen gefiel, und im Cafe war es zu laut und zu teuer. Auf dem Weg nach draußen konnte Arlene nicht am Wunschbrunnen vorbeigehen, ohne in ihrer Handtasche zu kramen. Das tat sie überall, wo sie hingingen, schon seit Jahren, es war geradezu zwanghaft. Was gab es in ihrem Alter noch, das man sich wünschen konnte, fragte sich Emily.
    Arlene wandte sich zu ihr um. «Hast du einen Penny?»
    Seufzend fischte Emily einen aus ihrer Geldbörse.
    «Danke.» Arlene warf ihn lächelnd in den Brunnen, als wüsste sie, dass sie sich kindisch benahm.
    Draußen kehrten

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