Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
der große Qualen leidet, und das tat er eine Viertelstunde lang, offenbar absichtlich, um seine Kusine zu betrüben, denn jedesmal, wenn er ein unterdrücktes Schluchzen von ihr vernahm, gab er seiner Stimme einen noch schmerzlicheren und ergreifenderen Klang.
»Es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe«, sagte sie endlich, über die Grenzen des Erträglichen hinaus gefoltert. »Aber mir hätte so ein kleiner Stoß nicht weh getan, und ich hatte auch keine Ahnung, dass er dir weh tun würde. Aber es war nicht schlimm, nicht wahr, Linton? Lass mich nicht nach Hause gehn mit dem Bewusstsein, dass du durch meine Schuld Schmerzen leidest. Antworte doch! Sprich zu mir!«
»Ich kann nicht mit dir sprechen«, murmelte er, »du hast mir so weh getan, dass ich die ganze Nacht wach liegen werde, von diesem Husten geschüttelt. Wenn du ihn hättest, wüsstest du, wie das ist; aber du wirst behaglich schlafen, während ich mich in Todesqual winde und niemand bei mir ist. Ich möchte wissen, wie dir zumute wäre, wenn du so fürchterliche Nächte durchmachen müsstest.« Und er fing an, aus lauter Mitleid mit sich selber, laut zu jammern.
»Da Sie daran gewöhnt sind, fürchterliche Nächte zu verleben«, sagte ich, »wird es nicht Miss Cathy sein, die Ihre Ruhe stört; es wird nicht anders sein, als wenn sie nie gekommen wäre. Sie soll Sie aber nicht wieder stören, und vielleicht werden Sie ruhiger werden, wenn wir Sie allein lassen.«
»Muss ich gehen?« fragte Catherine traurig und beugte sich über ihn. »Willst du, dass ich gehe, Linton?«
»Du kannst das, was du angerichtet hast, nicht ändern«, erwiderte er mürrisch und wich vor ihr zurück, »du kannst es nur noch schlimmer machen, indem du mich quälst, bis ich Fieber habe.«
»Also, dann muss ich gehen?« wiederholte sie.
»Lass mich wenigstens in Ruhe«, sagte er, »ich kann dein Sprechen nicht ertragen.«
Sie zögerte und widerstand meiner Uberredung zum Aufbruch noch eine ganze Weile; aber da er weder aufblickte noch sprach, machte sie schließlich eine Bewegung nach der Tür hin, und ich folgte ihr. Ein Schrei rief uns zurück. Linton war von seinem Stuhl auf die Steinfliesen vor dem Herd hinabgeglitten und wand sich dort mit dem ganzen Eigensinn eines verwöhnten Kindes, das entschlossen ist, so unausstehlich und unleidlich wie nur möglich zu sein. Seinen Hang dazu verriet sein Betragen, und ich sah sofort, dass der Versuch, ihn zu beschwichtigen, Torheit gewesen wäre. Nicht so meine Begleiterin. Sie lief in hellem Schrecken zurück, kniete nieder und weinte und redete ihm gut zu und flehte ihn an, bis er ruhig wurde, weil ihm die Luft ausging, nicht etwa, weil er bereute, sie betrübt zu haben.
»Ich werde ihn auf die Bank legen«, sagte ich, »dort kann er sich herumwerfen, soviel er will; wir können nicht bleiben und ihm dabei zusehen. Ich hoffe, Sie haben sich davon überzeugt, Miss Cathy, dass Sie ihn nicht heilen können und dass sein Gesundheitszustand nicht durch seine Zuneigung zu Ihnen verursacht ist. So, da liegt er. Kommen Sie! Sobald er merkt, dass niemand da ist, der sich um seine Albernheit kümmert, wird er froh sein, still liegen zu können.«
Sie legte ihm ein Kissen unter den Kopf und bot ihm etwas Wasser an; doch wies er es zurück und wälzte sich so unruhig auf dem Kissen hin und her, als wäre es ein Stein oder ein Stück Holz. Sie versuchte, es ihm bequemer hinzulegen.
»So geht es nicht«, sagte er; »es ist nicht hoch genug.« Catherine brachte noch eines und legte es darauf.
»Das ist zu hoch«, murmelte der Quälgeist.
»Wie soll ich es denn machen?« fragte sie, ganz verzweifelt.
Er richtete sich an ihr, die neben der Bank halb kniete, auf und benutzte ihre Schulter als Lehne für seinen Kopf.
»Nein, das gibt es nicht«, sagte ich. »Sie müssen mit dem Kissen vorliebnehmen, Master Heathcliff. Das Fräulein hat schon viel zuviel Zeit mit Ihnen vergeudet; wir können nicht fünf Minuten länger bleiben.«
»Doch, doch, wir können wohl«, erwiderte Cathy. »Jetzt ist er brav und geduldig. Er fängt an einzusehen, dass ich heute nacht viel elender sein werde als er, wenn ich glauben müsste, mein Besuch habe ihm geschadet; ich würde dann nicht wagen wiederzukommen. Linton, sage mir die Wahrheit; denn ich darf nicht kommen, wenn ich dir weh getan habe.«
»Du sollst kommen, um mich gesund zu machen«, antwortete er. »Du musst deshalb kommen, weil du mir weh getan hast; denn das hast du, und sogar sehr. Ich
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