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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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kommen, da brach sie das Medaillon auseinander und gab mir das Bild ihrer Mutter, das andere versuchte sie zu verstecken; aber Papa fragte, was los sei, da habe ich ihm alles erzählt. Er nahm meine Hälfte weg und befahl ihr, mir die andere zu geben; sie weigerte sich, und er — er schlug sie nieder, riss das Bild von der Kette ab und zertrat es mit dem Fuß.«
    »Und es hat Sie gefreut, dass er sie schlug?« fragte ich; ich verfolgte gewisse Absichten dabei, dass ich ihn zum Sprechen ermunterte.
    »Ich habe die Augen zugemacht«, antwortete er. »Ich mache immer die Augen zu, wenn mein Vater einen Hund oder ein Pferd schlägt; er schlägt so hart zu. Zuerst war ich froh; sie verdiente eine Strafe, weil sie mich gestoßen hatte. Aber nachdem Papa gegangen war, zog sie mich ans Fenster und zeigte mir, dass ihre Backe durch die Zähne innen im Munde ganz aufgerissen war; ihr Mund war voll Blut. Und dann sammelte sie die Bruchstücke des Bildes auf und setzte sich mit dem Gesicht zur Wand. Seitdem hat sie kein Wort mehr mit mir gesprochen; manchmal denke ich, sie kann es nicht vor Schmerzen. Ich denke nicht gern daran, aber sie ist ein ungezogenes Ding, weil sie immer weint; und sie sieht so bleich und wild aus, dass ich Angst vor ihr habe.«
    »Und Sie können den Schlüssel haben, wenn Sie wollen?« sagte ich.
    »Ja, wenn ich oben bin. Aber jetzt kann ich nicht hinaufgehen.«
    »In welchem Zimmer ist er?« fragte ich.
    »Oh, ich werde dir doch nicht sagen, wo er ist! Das ist unser Geheimnis. Das darf niemand wissen, weder Hareton noch Zillah. So, du hast mich müde gemacht, geh weg, geh weg!« Und damit legte er das Gesicht auf seinen Arm und schloss die Augen wieder.
    Ich hielt es für ratsam, zu verschwinden, ohne Mr. Heathcliff zu begegnen, und meinem Fräulein Hilfe von Thrushcross Grange aus zu bringen. Als ich dort ankam, war das Erstaunen bei den anderen Dienstboten und die Freude, mich wiederzusehen, groß; als sie hörten, dass ihre kleine Herrin in Sicherheit war, wollten zwei oder drei von ihnen zu Mr. Lintons Tür laufen und ihm die gute Nachricht zurufen, aber ich setzte ihn selbst davon in Kenntnis. Wie sehr hatte er sich in den wenigen Tagen verändert! Da lag er, ein Bild der Trauer und der Entsagung, sein Ende erwartend. Er sah sehr jung aus; obwohl er neununddreissig Jahre alt war, hätte man ihn mindestens für zehn Jahre jünger gehalten. Er dachte an Catherine, denn er murmelte ihren Namen. Ich berührte seine Hand und flüsterte: »Catherine wird kommen, mein lieber Herr. Sie lebt und ist gesund, und ich denke, sie wird heute abend hier sein.«
    Ich erschrak über die erste Wirkung dieser Botschaft: er richtete sich halb auf, sah eifrig im Zimmer umher und sank ohnmächtig zurück. Sobald er wieder zu sich kam, berichtete ich von unserem erzwungenen Besuch und unserer Gefangenhaltung in Wuthering Heights. Ich erzählte, dass Heathcliff mich gezwungen hatte, ins Haus zu gehen, was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich sagte so wenig wie möglich gegen Linton; auch das grausame Verhalten seines Vaters verschwieg ich, um nicht noch mehr Bitterkeit in Mr. Lintons schon übervollen Leidenskelch zu giessen.
    Er erriet, dass eine der Absichten seines Feindes darin bestand, sowohl das persönliche Vermögen wie auch das Gut für seinen Sohn zu erlangen, oder vielmehr für sich selbst. Aber warum er damit nicht bis nach seinem Ableben wartete, war meinem Herrn ein Rätsel, denn er ahnte nicht, wie bald nach seinem Tode auch sein Neffe diese Welt verlassen würde. Er war jedoch der Meinung, dass sein Testament lieber geändert werden sollte: statt Catherine das Vermögen zu ihrer freien Verfügung zu lassen, beschloss er, es Treuhändern zu übergeben, so dass sie auf Lebenszeit die Nutzniessung hätte und nach ihr ihre Kinder, falls sie welche bekäme. Auf diese Weise konnte es nicht an Mr. Heathcliff fallen, wenn sein Sohn starb.
    Als er mir seine Anweisungen gegeben hatte, schickte ich einen Mann weg, um den Notar zu holen, und vier andere, die mit den notwendigen Waffen versehen waren, um meine junge Herrin ihrem Kerkermeister abzufordern. Alle kehrten mit großer Verspätung zurück. Der einzelne Diener kam zuerst. Er sagte, Mr. Green, der Advokat, sei bei seiner Ankunft nicht zu Hause gewesen, und er habe zwei Stunden auf seine Rückkehr warten müssen; dann habe Mr. Green ihm gesagt, er müsse noch eine kleine Sache im Dorf erledigen, er werde aber vor Tagesanbruch in Thrushcross Grange sein. Die

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