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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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nicht gewusst, dass du meine Partei ergriffen hast«, antwortete sie und trocknete sich die Augen, »und ich war unglücklich und gegen alle verbittert. Aber jetzt danke ich dir und bitte dich um Verzeihung: was kann ich anderes tun?«
    Sie ging zum Herdplatz zurück und streckte ihm freimütig die Hand entgegen. Er aber sah weiter finster und drohend wie eine Gewitterwolke aus, hielt seine Fäuste fest geschlossen und wandte den Blick nicht vom Boden weg. Catherine schien erraten zu haben, dass es eigensinnige Verstocktheit war und nicht Abneigung, die ihn zu diesem verbissenen Benehmen veranlasste, denn nach einem Augenblick unentschlossenen Zögerns beugte sie sich nieder und drückte einen sanften Kuss auf seine Wange. Der kleine Schelm dachte, ich hätte sie nicht beobachtet, und zog sich auf ihren alten Platz am Fenster zurück. Ich schüttelte vorwurfsvoll den Kopf; da errötete sie und flüsterte: »Was hätte ich denn anderes tun sollen, Ellen? Die Hand wollte er mir nicht geben, ja er sah nicht einmal auf; ich musste ihm irgendwie zeigen, dass ich ihn gern habe — und dass ich Freundschaft mit ihm schließen will.«
    Ob es dieser Kuss war, der Hareton überzeugte, kann ich nicht sagen; ein paar Minuten lang war er sehr bemüht, sein Gesicht nicht zu zeigen, und als er endlich den Kopf hob, war er in grösster Verlegenheit, wohin er seine Augen wenden sollte.
    Catherine beschäftigte sich damit, ein hübsches Buch sauber in weisses Papier einzuwickeln, und nachdem sie es mit einem Endchen Band verschnürt hatte, adressierte sie das Päckchen an ›Mr. Hareton Earnshaw‹ und bat mich, als ihre Abgesandte, das Geschenk seinem Empfänger zu übermitteln.
    »Und sage ihm, wenn er es annimmt, dann will ich ihm beibringen, es richtig zu lesen«, sagte sie, »und wenn er es zurückweist, werde ich hinaufgehen und ihn nie, nie wieder quälen.«
    Ich trug es hin und wiederholte die Botschaft, begleitet von den ängstlichen Blicken meiner Auftraggeberin. Hareton streckte keinen Finger aus, deshalb legte ich es auf seine Knie. Er schob es auch nicht weg. So ging ich wieder an meine Arbeit. Catherine saß am Tisch und stützte ihren Kopf in die Hände, bis sie das leise Rascheln des Papiers hörte, das von dem Buch entfernt wurde; da stahl sie sich hinüber und setzte sich still neben ihren Vetter. Er zitterte, und sein Gesicht glühte. Seine ganze Grobheit und seine finstere Strenge waren verschwunden. Zuerst konnte er nicht den Mut aufbringen, auf ihren fragenden Blick und ihre leise Bitte auch nur mit einer einzigen Silbe zu antworten.
    »Sag, dass du mir verzeihst, Hareton. Du kannst mich mit diesem einen kleinen Wort so glücklich machen!«
    Er murmelte etwas Unverständliches.
    »Und nun wirst du mein Freund sein?« fügte Catherine fragend hinzu.
    »Nee, denn du wirst dich meiner schämen bis an dein Lebensende, je besser du mich kennst, desto mehr; un das kann ich nich ertragen.«
    »So willst du also mein Freund nicht sein?« sagte sie mit einem süssen Lächeln und rückte näher an ihn heran.
    Weiter konnte ich vom Gespräch nichts verstehen, aber als ich mich nach ihnen umsah, blickte ich in zwei so strahlende Gesichter, die sich zusammen über das geschenkte Buch beugten, dass mir kein Zweifel blieb: der Friedensschluss war von beiden Seiten vollzogen, und aus Feinden waren nun verschworene Verbündete geworden.
    Das Werk, das sie zusammen studierten, war voll kostbarer Bilder, und diese Bilder und ihr neues Verhältnis zueinander hielt sie unbeweglich an ihrem Platz, bis Joseph nach Hause kam. Der arme Mann war ganz entgeistert über den unerwarteten Anblick, Catherine auf derselben Bank mit Hareton Earnshaw sitzen zu sehen, ihre Hand auf seine Schulter gelehnt, und verwirrt darüber, dass sein Liebling ihre Nähe duldete. Es erschütterte ihn so tief, dass er an diesem Abend nicht einmal eine Bemerkung darüber machte. Seine Aufregung äusserte sich nur in abgrundtiefen Seufzern, die er ausstiess, als er seine große Bibel feierlich auf dem Tisch aufschlug und sie mit schmutzigen Banknoten aus seinem Taschentuch bedeckte: dem Erlös dieses Tages. Schließlich rief er Hareton zu sich herüber.
    »Trag das ’nüber ins Zimmer vom Herrn, Junge, un bleib drüben. Ich geh in meine eigne Kammer ’nauf. Die Höhle hier is nich menschlich un nich schicklich für uns. Wir müssen ausrücken un uns was andres suchen.«
    »Kommen Sie, Catherine, wir müssen auch ›ausrücken‹. Ich bin mit meiner Plätterei

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