Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
Hinaus mit ihr! Hörst du? Stecke sie in die Küche! Ich schlage sie tot, Ellen Dean, wenn du sie mir wieder unter die Augen kommen lässt!«
Hareton versuchte mit gedämpfter Stimme, sie zum Verlassen des Zimmers zu bewegen.
»Wirf sie hinaus!« schrie Heathcliff wütend. »Was stehst du da und redest?« Und er kam näher, um seinen Befehl selbst auszuführen.
»Er wird Ihnen niemals mehr gehorchen, Sie schlechter Mensch«, sagte Catherine, »und bald wird er Sie ebenso hassen wie ich.«
»Scht, scht!« murmelte der junge Mann vorwurfsvoll. »Ich will dich nicht so reden hören. Still!«
»Aber du wirst nicht zulassen, dass er mich schlägt«, rief sie.
»Jetzt komm weg hier!« flüsterte er sehr ernst. Da war es schon zu spät: Heathcliff hatte sie gepackt.
»Nun gehst du!« sagte er zu Earnshaw. »Verfluchte Hexe! Diesmal hat sie mich herausgefordert, als ich es nicht vertragen konnte. Das soll sie ihr Leben lang bereuen!«
Er hatte sie bei den Haaren gepackt; Hareton versuchte ihre Locken zu befreien und flehte ihn an, ihr nicht weh zu tun. Heathcliffs schwarze Augen glühten, er schien Catherine in Stücke zerreissen zu wollen, und ich wollte ihr gerade zu Hilfe eilen, als seine Finger plötzlich ihren Griff lockerten; er ließ seine Hand von ihrem Kopf auf ihren Arm sinken und starrte ihr gespannt ins Gesicht. Er strich sich mit der Hand über die Augen, stand einen Augenblick still, wie um sich zu sammeln, dann wendete er sich wieder an Catherine und sagte mit erzwungener Ruhe: »Du musst vermeiden, mich so zu reizen, sonst bringe ich dich wirklich eines Tages um! Geh zu Mrs. Dean und bleibe bei ihr, und vertraue deine Unverschämtheiten ihren Ohren an. Und was Hareton Earnshaw betrifft: wenn ich merke, dass er auf dich hört, soll er sich sein Brot verdienen, wo er will. Deine Liebe wird ihn zum Ausgestoßenen und zum Bettler machen! Nelly, nimm sie mit — und nun lasst mich alle allein! Lasst mich allein!«
Ich führte meine junge Herrin hinaus, und sie war viel zu froh darüber, so davongekommen zu sein, als dass sie widerstrebt hätte; die anderen folgten, und Mr. Heathcliff war bis Mittag allein im ›Haus‹. Ich hatte Catherine geraten, oben zu bleiben, aber als er ihren leeren Stuhl bemerkte, schickte er mich hinauf, um sie zu holen. Er redete mit keinem, aß sehr wenig und ging sofort nach der Mahlzeit aus und bedeutete uns, dass er vor dem Abend nicht zurück sein werde.
Während seiner Abwesenheit machten es sich die beiden neuen Freunde im ›Haus‹ bequem. Dort hörte ich, wie Hareton seiner Kusine einen ernsten Verweis erteilte, nachdem sie versucht hatte, ihm das Verhalten ihres Schwiegervaters seinem eigenen Vater gegenüber klarzumachen. Er sagte ihr, dass er kein einziges Wort der Herabsetzung über ihn dulden werde. Und wenn er der Teufel selber wäre, so würde das an der Sache nichts ändern; er werde zu ihm stehen, und er wollte lieber, dass sie ihn selbst beschimpfe wie in früheren Tagen, als dass sie sich gegen Mr. Heathcliff wende. Catherine wurde erst böse darüber, aber er fand den rechten Weg, sie zum Schweigen zu bringen, durch seine Frage, wie es ihr wohl gefallen würde, wenn er über ihren Vater Hässliches sagte. Sie verstand endlich, dass Earnshaw die Ehre seines Herrn zu seiner eigenen machte und dass er zu fest an ihm hing, als dass Vernunftgründe diese Bande hätten zerstören können, Bande, durch die Gewohnheit geschmiedet und nur durch rohe Gewalt zu zerreissen. In Zukunft bewies sie ihre Neigung dadurch, dass sie es vermied, zu klagen oder Ausdrücke der Abneigung gegen Heathcliff laut werden zu lassen; mir gegenüber bekannte sie auch ihre Reue darüber, dass sie versucht hatte, Unfrieden zwischen ihm und Hareton zu stiften. Ich glaube wirklich, sie hat seither in Earnshaws Gegenwart kein einziges Wort mehr gegen ihren Unterdrücker gesagt.
Als diese kleine Verstimmung vorüber war, waren sie wieder gut Freund miteinander und ungemein eifrig in ihrer Tätigkeit als Schüler und Lehrer. Wenn ich mit meiner Arbeit fertig war, setzte ich mich zu ihnen, und während ich ihnen zuschaute, fühlte ich mich so getröstet und beruhigt, dass ich kaum merkte, wie die Zeit verstrich. Sie wissen, beide waren in gewisser Weise meine Kinder; ich war stolz auf das eine gewesen, und jetzt erkannte ich, dass das andere eine Quelle gleicher Freude werden würde. Haretons aufrichtige, warmherzige und geweckte Natur befreite sich rasch von den Schatten der Unwissenheit und
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