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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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kleines Mädchen wäre, und sie betrachtete sich als Frau und unsere Gebieterin und glaubte, ihre verflossene Krankheit gäbe ihr das Recht, mit Rücksicht behandelt zu werden. Überdies hatte der Arzt gesagt, sie werde nicht viel Widerspruch vertragen, man müsse sie ihre Wege gehen lassen; so wäre es in ihren Augen fast einem Mord gleichgekommen, wenn sich jemand herausgenommen hätte, aufzustehen und ihr zu widersprechen. Von Mr. Earnshaw und seinen Kumpanen hielt sie sich fern, und ihr Bruder, eingeschüchtert durch Kenneth und durch Angst vor Anfällen, die ihre Wutausbrüche oft begleiteten, erlaubte ihr alles, was sie zu verlangen beliebte, und vermied es im allgemeinen, ihr heftiges Temperament zu reizen. Er war zu nachsichtig in der Art, wie er ihre Launen duldete, und tat das nicht aus Liebe, sondern aus Ehrgeiz; denn er wünschte ernstlich, dass sie durch eine Verbindung mit den Lintons die Familie wieder zu Ansehen bringen möchte. Solange sie ihn selbst in Ruhe ließ, konnte sie uns wie Sklaven mit Füssen treten; ihm war es gleich. Edgar Linton war, wie Tausende vor und nach ihm, blind verliebt. Er hielt sich für den glücklichsten Mann auf Erden am Tage, als er sie, drei Jahre nach seines Vaters Tod, in die Kapelle von Gimmerton führte.
    Sehr gegen meinen Willen wurde ich überredet, Wuthering Heights zu verlassen und sie hierher zu begleiten. Der kleine Hareton war fast fünf Jahre alt, und ich hatte angefangen, ihm das Abc beizubringen. Es war ein trauriger Abschied; aber Catherines Tränen hatten mehr Gewicht als unsere. Als ich mich weigerte, mitzugehen, und als sie merkte, dass ihr Flehen mich nicht rührte, beklagte sie sich bei ihrem Mann und ihrem Bruder über mich. Edgar bot mir freigebig hohen Lohn an, Hindley befahl mir, mich fortzuscheren: er brauche keine Frauen im Haus, sagte er, nun, da keine Herrin mehr da wäre; und was Hareton beträfe, so solle der Vikar ihn allmählich in die Hand nehmen. Und so blieb mir keine andere Wahl, als zu tun, was mir befohlen wurde. Ich sagte dem Herrn, er schicke alle anständigen Leute weg, nur um noch schneller ins Verderben zu rennen, küsste Hareton zum Abschied, und seitdem ist er mir ein Fremder geworden. Es ist seltsam, wenn man es bedenkt, aber ich bin davon überzeugt, dass er alles, was Ellen Dean betrifft, vollkommen vergessen hat, auch dass er einst die ganze Welt für sie bedeutete und sie für ihn! –
    Als die Haushälterin bei diesem Punkt ihrer Erzählung angelangt war, warf sie zufällig einen Blick auf die Uhr über dem Kamin und war bestürzt, als sie sah, dass die Zeiger auf halb zwei zeigten. Sie wollte nichts davon hören, auch nur eine Sekunde länger zu bleiben, und ich war auch ganz bereit, die Fortsetzung ihrer Geschichte aufzuschieben. Und nun, da sie sich zur Ruhe begeben hat und ich noch eine Stunde oder zwei über das Gehörte nachgedacht habe, werde ich mich aufraffen und auch gehen, trotz schmerzender Benommenheit in Kopf und Gliedern.
     
     
     

Zehntes Kapitel
    EINE REIZENDE Einleitung für ein Einsiedlerleben! Vier Wochen Quälerei, Unruhe und Krankheit! Oh, diese rauhen Winde, der strenge nördliche Himmel, die unwegsamen Straßen und die saumseligen Landärzte! Und dieses Verlangen nach menschlichen Gesichtern! Und das Schlimmste von allem: Kenneth’ schreckliche Ankündigung, ich dürfe nicht erwarten, vor Beginn des Frühlings ins Freie zu kommen!
    Mr. Heathcliff hat mich soeben mit einem Besuch beehrt. Vor einer Woche etwa schickte er mir ein Paar Birkhühner, die letzten des Jahres. Oh, der Schurke! Er ist nicht ohne Schuld an meiner Krankheit, und ich hatte die grösste Lust, ihm das zu sagen. Aber wie konnte ich einen Menschen beleidigen, der so barmherzig war, eine gute Stunde an meinem Bett zu sitzen und über anderes zu plaudern als über Pillen, Tropfen, Zugpflaster und Blutegel? Augenblicklich spürte ich eine kleine Erleichterung. Ich bin zu schwach zum Lesen und habe doch das Gefühl, als könnte ich mich an etwas Interessantem erfreuen. Warum soll ich nicht Mrs. Dean heraufbitten, damit sie ihre Erzählung beendet? Ich kann mich der wichtigsten Ereignisse erinnern, so weit sie damit gekommen war. Ja, ich weiss: ihr Held war auf und davon gegangen, und seit drei Jahren hatte niemand von ihm gehört; und die Heldin hatte geheiratet. Ich werde klingeln. Sie wird sich freuen, wenn sie merkt, dass ich imstande bin, mich munter zu unterhalten. Mrs. Dean kam.
    »Sie brauchen Ihre Arznei erst in zwanzig

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