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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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Minuten zu nehmen, Mr. Lockwood«, fing sie an.
    »Nichts davon!« erwiderte ich. »Was ich wünsche, ist…«
    »Der Arzt sagt, Sie müssen aufhören mit den Pulvern.«
    »Von Herzen gern! Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Kommen Sie, setzen Sie sich hierher. Lassen Sie die Finger von dieser scheusslichen Flaschenbatterie. Nehmen Sie Ihr Strickzeug aus dem Beutel — so ist es recht —, und fahren Sie mit der Geschichte von Mr. Heathcliff fort, von dort, wo Sie aufgehört haben, bis zum heutigen Tag. Hat er seine Ausbildung auf dem Festland beendet und ist er als vornehmer Herr zurückgekommen? Oder hat er ein Stipendium für die Universität erhalten, oder ist er nach Amerika geflohen und dort zu Ehren gekommen, indem er sein Heimatland schröpfte? Oder ist er noch schneller auf den englischen Landstraßen zu Vermögen gekommen?«
    »Vielleicht hat er sich ein wenig in all diesen Berufen versucht, Mr. Lockwood, aber ich kann nichts dergleichen behaupten. Ich habe Ihnen schon früher gesagt, dass ich nicht weiss, wie er sein Geld erworben hat, auch nicht, welche Mittel er angewandt hat, um sich aus der barbarischen Unwissenheit zu erheben, in die er gesunken war; aber wenn Sie erlauben, werde ich nach meiner eigenen Weise weitererzählen, vorausgesetzt, dass Sie das unterhalten und nicht ermüden wird. Fühlen Sie sich heute besser?«
    »Viel besser.«
    »Das höre ich gerne!«
     
    Ich begleitete Miss Catherine nach Thrushcross Grange und war aufs angenehmste überrascht, weil sie sich viel besser benahm, als ich zu hoffen gewagt hatte. Sie schien richtig vernarrt in Mr. Linton, und sogar seiner Schwester erwies sie viel Liebe. Beide waren allerdings sehr auf ihre Behaglichkeit bedacht. Nicht der Dornbusch wuchs dem Geissblatt entgegen: das Geissblatt umrankte den Dornbusch. Gegenseitige Zugeständnisse gab es nicht: der eine Teil stand unerschütterlich, die anderen gaben nach; und wer kann bösartig oder schlecht gelaunt sein, wenn er weder auf Widerstand noch auf Gleichgültigkeit stößt? Ich beobachtete, dass Mr. Edgar eine tief wurzelnde Angst davor hatte, man könnte sie reizen. Er verbarg es vor ihr; aber wenn er mich einmal scharf antworten hörte oder sah, dass einer der anderen Dienstboten auf einen herrisch geäusserten Befehl hin finster dreinblickte, pflegte er seine Unruhe durch ein missbilligendes Stirnrunzeln zu bekunden, das nie erschien, wenn es sich um ihn selbst handelte. Er sprach häufig ernsthaft mit mir über mein schnippisches Wesen und versicherte, dass ein Messerstich ihm keine grössere Qual bereiten könnte als das Bewusstsein, dass seine Frau sich ärgerte. Um meinen gütigen Herm nicht zu betrüben, lernte ich, weniger empfindlich zu sein, und ein halbes Jahr lang lag das Schiesspulver so harmlos wie Sand da, weil ihm kein Feuer nahe kam, das es zur Entzündung bringen konnte. Catherine hatte dann und wann Zeiten der Schwermut und Schweigsamkeit, die ihr Mann mit teilnahmsvollem Schweigen achtete, weil er sie einer Veränderung ihres Gesundheitszustandes nach ihrer lebensgefährlichen Krankheit zuschrieb; vorher war sie solchen seelischen Depressionen nie unterworfen gewesen. War bei ihr wieder Sonnenschein, so strahlte auch er. Ich glaube, es ist nicht zuviel gesagt, dass sie sich wirklich eines tiefen, wachsenden Glückes erfreuten.
    Es nahm ein Ende. Schließlich muss ein jeder einsam werden; die Sanftmütigen und Großherzigen sind im Grunde selbstgerechter als die Tyrannischen; und es ging zu Ende, als sie beide zur Erkenntnis kamen, dass das, was den einen zumeist beschäftigte, nicht auch in den Gedanken des anderen den ersten Platz einnahm. — An einem milden Septemberabend kam ich aus dem Garten mit einem schweren Korb Äpfel, die ich aufgelesen hatte. Es war dunkel geworden, der Mond blickte über die hohe Hofmauer, und sein Licht warf unbestimmte Schatten in die Winkel der zahlreichen Vorsprünge des Gebäudes. Ich setzte meine Last auf die Stufen neben der Küchentür nieder und verweilte etwas, um mich auszuruhen und noch ein wenig die milde, süsse Luft zu atmen. Ich blickte zum Monde auf und kehrte der Haustür den Rücken zu, als ich hinter mir eine Stimme hörte: »Nelly, bist du das?«
    Es war eine tiefe Stimme und fremdartig im Tonfall, doch lag etwas in der Art, wie mein Name ausgesprochen wurde, was sie mir vertraut machte. Ich drehte mich ängstlich nach dem Sprecher um; denn die Türen waren geschlossen, und ich hatte niemanden gesehen, als ich mich den

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