Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
Gesichtszüge zu einem Ausdruck von erschreckender Bosheit verzerrten. Sie können mir glauben, dies tat mir viel mehr weh, als dass es mich ärgerte. Dem Weinen nahe, nahm ich eine Apfelsine aus meiner Tasche und bot sie ihm zur Versöhnung an. Er zögerte, dann riss er sie mir aus der Hand, als ob er fürchtete, ich wolle ihn nur damit locken. Ich zeigte ihm noch eine, hielt sie aber so, dass er sie nicht erreichen konnte.
»Wer hat dir diese schönen Reden beigebracht, mein Kind?« fragte ich. »Der Vikar?«
»Verdammt sollt ihr sein, der Vikar und du! Gib her!« rief er.
»Sag mir, wo du Stunden nimmst, und du sollst sie haben«, sagte ich. »Wer ist dein Lehrer?«
»Der Teufel Vati«, war seine Antwort.
»Und was lernst du bei Vati?« fuhr ich fort.
Er sprang nach der Frucht, ich hielt sie höher.
»Was lehrt er dich?« fragte ich.
»Nix«, sagte er, »nur ihm aus dem Wege zu gehen. Vati kann mich nicht ausstehen, weil ich ihn beschimpfe.«
»Oh, und der Teufel lehrt dich, Vati zu beschimpfen?« bemerkte ich.
»Ja — nee«, meinte er gedehnt.
»Wer denn?«
»Heathcliff.«
Ich fragte ihn, ob er Heathcliff gern hätte.
»Ja«, antwortete er wieder.
Als ich wissen wollte, warum er ihn gern hätte, konnte ich nur folgende Sätze aufschnappen: »Ich weiss nich; er zahlt Vater heim, was er mir tut; er schimpft Vater, wenn der mich beschimpft. Er sagt, ich kann tun, was ich will.«
»Und der Vikar lehrt dich also nicht lesen und schreiben?« beharrte ich.
»Nee, sie haben nur gesagt, sie wollen dem Vikar seine verdammten Zähne einschlagen, wenn er über die Schwelle kommt; Heathcliff hat’s versprochen.«
Ich legte die Apfelsine in seine Hand und bat ihn, seinem Vater zu sagen, dass eine Frau, Nelly Dean, an der Gartenpforte warte, um mit ihm zu sprechen. Er ging den Weg hinaus und ins Haus, aber statt Hindleys erschien Heathcliff im Torweg, und ich drehte mich auf den Hacken um und lief so schnell ich konnte die Straße hinunter, ohne haltzumachen, bis zum Wegweiser, und war so erschrocken, als hätte ich ein Gespenst beschworen. Dies hat nicht viel zu tun mit Miss Isabellas Angelegenheiten, ausser dass es mich antrieb, weiterhin eifrig aufzupassen und das Äusserste zu wagen, um diesen schlechten Einfluss auf dem Gut zu brechen, selbst auf die Gefahr hin, einen häuslichen Sturm heraufzubeschwören, wenn ich Mrs. Lintons Absichten durchkreuzte.
Als Heathcliff das nächste Mal kam, traf es sich, dass Isabella die Tauben auf dem Hof fütterte. Sie hatte seit drei Tagen kein Wort mehr mit ihrer Schwägerin gesprochen; aber sie hatte wenigstens ihr verdriessliches Jammern aufgegeben, und das war uns eine große Erleichterung. Heathcliff hatte, wie ich wusste, nicht die Gewohnheit, auch nur eine einzige unnütze Höflichkeit an Miss Linton zu verschwenden. Als er sie entdeckt hatte, war heute seine erste Vorsichtsmaßregel, die Hausfront prüfend zu überblicken. Ich stand am Küchenfenster, zog mich aber zurück, so dass ich nicht gesehen werden konnte. Er ging über das Pflaster zu ihr hin und sprach sie an, sie schien verlegen und versuchte wegzugehen; um dies zu verhindern, legte er seine Hand auf ihren Arm. Sie wandte ihr Gesicht ab; anscheinend stellte er eine Frage an sie, die sie nicht beantworten wollte. Wieder ein rascher Blick nach dem Haus hin, und da er sich unbeobachtet wähnte, hatte der Schurke die Unverschämtheit, sie zu küssen.
»Judas! Verräter!« rief ich aus. »Heuchelst du auch noch, du berechnender Betrüger?«
»Wer, Nelly?« sagte Catherines Stimme dicht an meiner Schulter. Ich war zu sehr in meine Beobachtung des Paares draussen vertieft gewesen, als dass ich ihr Eintreten wahrgenommen hätte.
»Ihr unwürdiger Freund!« antwortete ich hitzig. »Der schleichende Fuchs dort drüben. Jetzt hat er uns entdeckt er kommt herein! Ich bin neugierig, welche Entschuldigung dafür, dass er unserem Fräulein den Hof macht, seine Gerissenheit jetzt erfinden wird, nachdem er Ihnen erzählt hat, er hasse sie.«
Mrs. Linton sah, wie Isabella sich losriss und in den Garten lief, und eine Minute später öffnete Heathcliff die Tür. Ich konnte mir nicht versagen, meiner Entrüstung in Worten Luft zu machen, aber Catherine gebot ärgerlich Ruhe und drohte, mich aus der Küche zu schicken, wenn ich mir anmaßte, jetzt den Mund nicht zu halten.
»Wenn dich die Leute hören, werden sie meinen, du wärst die Herrin hier«, rief sie. »Ich muss dir einmal gründlich den Kopf zurechtsetzen.
Weitere Kostenlose Bücher