Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
Vom Netzwerk:
viele Freiheiten gestattete, dass ich wenig Zutrauen zu ihren Grundsätzen und noch weniger Zuneigung für sie hatte. Ich hoffte, es werde sich eines Tages etwas ereignen, was sowohl Wuthering Heights als auch Thrushcross Grange in aller Stille von Mr. Heathcliff befreite, so dass das Leben wieder wie vor seiner Rückkehr wäre. Seine Besuche lagen wie ein Alpdruck auf uns und wahrscheinlich auch auf meinem Herrn. Heathcliffs Aufenthalt in Wuthering Heights löste eine nicht zu erklärende Beklemmung in uns aus. Ich fühlte: Gott hatte das verirrte Lamm dort seinen eigenen krummen Wegen überlassen, und der böse Wolf lungerte zwischen ihm und der Hürde umher und wartete seine Zeit ab, um zuzuspringen und zu vernichten.
     
     
     

Elftes Kapitel
    MANCHMAL wenn ich allein saß und über diese Dinge nachdachte, bin ich in plötzlichem Schrecken aufgefahren und habe meine Haube aufgesetzt, um hinzugehen und nachzusehen, wie es auf dem Gute stand. Mein Gewissen sagte mir, es sei meine Pflicht, Hindley zu warnen und ihm zu sagen, was die Leute über seine Lebensweise sprächen. Dann entsann ich mich seiner tief eingewurzelten schlechten Gewohnheiten und wusste, wie aussichtslos der Versuch war, ihn zu bessern, und so gab ich es auf, das schreckliche Haus wieder zu betreten; ich würde es nicht ertragen haben, wenn man meinen Worten keinen Glauben geschenkt hätte.
    Als ich einmal nach Gimmerton ging, machte ich einen kleinen Umweg und kam an der alten Pforte vorbei. Es war etwa zu der Zeit, von der ich zuletzt erzählte, an einem hellen, frostigen Nachmittag, die Erde war kahl und die Straßen hart und trocken. Ich kam an einen Stein, wo die Landstraße linker Hand ins Moor abzweigt; es war eine Säule aus Sandstein, an deren Nordseite die Buchstaben W. H. eingeritzt waren, im Osten ein G. und im Südwesten T. G. Er dient als Wegweiser nach Wuthering Heights, ins Dorf Gimmerton und nach Thrushcross Grange. Die Sonne schien gelb auf den grauen Block und gemahnte mich an den Sommer; ich kann nicht erklären, wie das kam, aber plötzlich überstürzte ein Strom von Kindheitserinnerungen mein Herz. Vor zwanzig Jahren war dies ein Lieblingsplatz von Hindley und mir gewesen. Ich blickte lange auf den verwitterten Steinklotz, und als ich mich niederbeugte, bemerkte ich an seinem Fuß ein Loch, das noch voller Schneckenhäuser und Kieselsteine war, die wir gern mit anderen, vergänglicheren Dingen dort aufhäuften, und lebendig wie in Wirklichkeit glaubte ich auf einmal meinen ehemaligen Spielgefährten auf dem ausgetrockneten Torf sitzen zu sehen, seinen dunklen, viereckigen Kopf vornübergebeugt, in seiner kleinen Hand ein Stück Schiefer, mit dem er die Erde herausschaufelte. »Armer Hindley!« rief ich unwillkürlich aus. Ich stutzte: mein Auge schien wirklich zu sehen, dass das Kind sein Gesicht emporhob und geradenwegs in meines blickte! Die Erscheinung verschwand im Augenblick, aber sogleich fühlte ich ein unwiderstehliches Verlangen, in Wuthering Heights zu sein. Die innere Unruhe trieb mich an, diesem Impuls nachzugeben. ›Wenn er nun tot ist!‹ dachte ich, ›oder wenn er bald stürbe! Wenn dieses ein Vorzeichen seines Todes war!‹ Je näher ich dem Hause kam, desto erregter wurde ich, und als es auftauchte, zitterte ich an allen Gliedern. Die Erscheinung war schneller gewesen als ich, sie stand und guckte durch die Pforte; das war mein Gefühl, als ich einen Jungen mit einem Wuschelkopf und braunen Augen bemerkte, der sein rotes Gesicht gegen die Stangen presste. Eine weitere Überlegung sagte mir, das müsse Hareton sein, mein Hareton, der sich kaum verändert hatte in den zehn Monaten, seit ich ihn verlassen hatte.
    »Gott segne dich, Liebling!« rief ich und vergaß augenblicklich meine törichten Befürchtungen. »Hareton, ich bin Nelly, Nelly, deine Kinderfrau!«
    Er wich um Armeslänge zurück und hob einen großen Kieselstein auf.
    »Ich möchte mit deinem Vater sprechen, Hareton«, fügte ich hinzu; denn seiner Bewegung entnahm ich, dass er Nelly, wenn sie überhaupt noch in seiner Erinnerung lebte, nicht in mir erkannt hatte.
    Er hob sein Wurfgeschoss, um es zu schleudern; ich wollte ihn beschwichtigen, vermochte aber seinen Wurf nicht aufzuhalten, und der Stein traf meine Haube. Und dann folgte von den stammelnden Lippen des kleinen Burschen eine Reihe von Flüchen, die, ob er sie verstand oder nicht, mit einem Nachdruck vorgebracht wurden, der auf Übung schließen ließ, und die kindlichen

Weitere Kostenlose Bücher