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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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gnädige Frau«, antwortete ich, »der Herr hat keine Ahnung von Ihrem Gemütszustand, und darum kann er selbstverständlich nicht fürchten, dass Sie sich durch Verhungern das Leben nehmen werden.«
    »Glaubst du mir nicht? Kannst du ihm nicht sagen, dass ich es tun werde?« entgegnete sie. »Überzeuge ihn, sprich aus dir heraus, sag ihm, du glaubtest selbst, dass ich es tun werde!«
    »Sie vergessen, Mrs. Linton«, meinte ich, »dass Sie heute abend freiwillig etwas Nahrung zu sich genommen haben; morgen werden Sie die gute Wirkung davon verspüren.«
    »Wenn ich wüsste, dass es ihn töten würde«, unterbrach sie, »dann würde ich sofort ein Ende machen. In diesen drei entsetzlichen Nächten habe ich kein Auge zugetan, und oh, wie bin ich gefoltert und verfolgt worden, Nelly! Aber ich fange an zu glauben, dass ich dir gleichgültig bin. Wie seltsam! Ich habe mir immer eingebildet, alle müssten mich liebhaben, wenn sie sich auch gegenseitig hassten und verachteten. Und nun haben sich alle in wenigen Stunden in Feinde verwandelt. Ganz bestimmt haben sie das, die Leute hier. Wie traurig das ist, von lauter kalten Gesichtern umgeben, dem Tod ins Antlitz zu schauen! Isabella, entsetzt und abgestoßen, hat Angst, nur mein Zimmer zu betreten; es wäre doch schrecklich, Catherine sterben zu sehen. Und Edgar steht feierlich dabei und sieht zu; hinterher schickt er Dankgebete zu Gott, weil seinem Haus der Friede wiedergegeben wurde, und geht zurück zu seinen Büchern! Was um alles in der Welt gehen ihn Bücher an, wenn ich sterbe?«
    Der Gedanke an Mr. Lintons philosophische Entsagung, den ich ihr in den Kopf gesetzt hatte, war ihr unerträglich. Sie warf sich hin und her, ihre fiebrige Verwirrtheit steigerte sich bis zum Wahnsinn, sie zerriss ihr Kissen mit den Zähnen; dann richtete sie sich glühend vor Hitze auf und verlangte, dass ich das Fenster öffnete. Es war mitten im Winter, der Wind wehte scharf aus Nordost, und ich weigerte mich. Sowohl der schnelle Wechsel ihres Gesichtsausdruckes wie auch der Umschwung in ihren Stimmungen fingen an, mich aufs höchste zu beunruhigen; sie erinnerte mich an ihre frühere Krankheit und an die Weisung des Arztes, sie nicht aufzuregen. Eben noch war sie heftig gewesen; jetzt stützte sie sich auf einen Arm, hatte mich und meine Weigerung vergessen und fand ein kindisches Vergnügen darin, die Federn aus dem zerrissenen Kopfkissen herauszuziehen. Sie ordnete sie nach ihrer verschiedenen Art auf dem Bettuch; ihr Geist hatte sich anderen Gedankengängen zugewandt.
    »Diese ist von einem Truthahn«, murmelte sie vor sich hin, »die von einer Wildente und diese von einer Taube. Ach, sie haben Taubenfedern in die Kissen gestopft, kein Wunder, dass ich nicht sterben konnte! Ich muss achtgeben, dass ich sie auf die Erde werfe, bevor ich mich hinlege. Und diese ist von einem Sumpfhuhn, und diese da, ich würde sie unter Tausenden erkennen, ist von einem Kiebitz. Hübscher Vogel! Du schwingst dich mitten im Moor über unsere Köpfe empor. Du willst zu deinem Nest, denn die Wolken berühren die Anhöhen, und du weisst, dass es regnen wird. Diese Feder ist in der Heide aufgelesen, der Vogel ist nicht geschossen worden. Im Winter sahen wir sein Nest, es war voll von kleinen Gerippen. Heathcliff hatte eine Schlinge darübergelegt, und die Alten wagten es nicht, heranzukommen. Er musste mir versprechen, dass er nie wieder einen Kiebitz schiessen werde, und er hat es auch nicht getan. Ach, hier sind noch mehr! Hat er meine Kiebitze geschossen, Nelly? Ist eine von ihnen rot? Lass mich sehen!«
    »Hören Sie auf mit diesem kindischen Treiben!« unterbrach ich sie, zog ihr das Kissen weg und kehrte es mit den Löchern zur Matratze; denn sie holte eine Handvoll Federn nach der anderen heraus. »Legen Sie sich hin, und schließen Sie die Augen, Sie phantasieren ja! Eine schöne Bescherung! Die Daunen fliegen wie Schneeflocken umher!«
    Ich lief hin und her und sammelte sie ein.
    »Nelly«, fuhr sie fort, »ich sehe in dir eine alte Frau mit grauen Haaren und gebeugten Schultern. Dieses Bett ist die Märchenhöhle unter der Felsenklippe von Penistone, und du sammelst Elfenpfeile, um unsere jungen Kühe damit zu beschiessen, und behauptest, solange ich in der Nähe bin, es wären nur Haarlocken. So wirst du nach fünfzig Jahren sein, ich weiss, dass du jetzt nicht so bist. Ich phantasiere nicht, du irrst dich, denn sonst würde ich ja glauben, dass du wirklich diese verschrumpelte Hexe bist, und

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