Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
schwerfällig. Beruhige dich, du bist mir immer gefolgt.«
Ich sah ein, dass es vergebens war, mich ihrem Wahnsinn zu widersetzen, darum überlegte ich, wie ich eine warme Hülle herbeiholen konnte, um sie einzuwickeln, ohne sie loszulassen, denn ich durfte sie nicht allein an dem weit geöffneten Fenster lassen. Da hörte ich zu meiner Bestürzung ein Geräusch an der Türklinke und sah Mr. Linton eintreten. Er war gerade aus der Bibliothek gekommen; als er den Korridor entlangging, hatte er uns sprechen hören und kam, von Sorge und Neugier getrieben, um nachzusehen, was das zu dieser späten Stunde bedeute.
»Oh, Mr. Linton!« rief ich, ehe seine Lippen einen Ausruf formen konnten über den Anblick, der sich ihm bot, und über die düstere Stimmung des Zimmers, »meine arme Herrin ist krank; sie ist stärker als ich, und ich kann gar nicht mit ihr fertig werden; bitte, helfen Sie mir und überreden Sie sie, sich wieder zu Bett zu legen. Vergessen Sie Ihren Ärger, denn sie lässt sich nur leiten, wenn man ihr den Willen lässt.«
»Ist Catherine krank?« sagte er und eilte auf uns zu. »Schließe das Fenster, Ellen! Catherine, warum…«
Er verstummte. Die Verstörtheit in Mrs. Lintons Erscheinung benahm ihm die Sprache, und in hilflosem Entsetzen ließ er seine Blicke von ihr zu mir wandern.
»Sie hat sich hier in Kummer verzehrt«, fuhr ich fort, »hat kaum etwas gegessen, aber nicht geklagt; bis heute abend hat sie niemanden von uns eingelassen; wir konnten Sie nicht von ihrem Zustand unterrichten, wir wussten selbst nichts davon; aber es ist hoffentlich nicht schlimm.«
Ich fühlte, dass ich meine Erklärungen unbeholfen vorbrachte, und der Herr runzelte die Stirn. »Es ist nicht schlimm, meinst du, Ellen Dean?« sagte er streng. »Du sollst mir später genauer Rechenschaft darüber ablegen, warum du mich hierüber in Unkenntnis gelassen hast.« Und er nahm seine Frau in seine Arme und betrachtete sie voll Schmerz.
Anfänglich lag in ihrem Ausdruck kein Zeichen des Wiedererkennens: ihr Mann war ihrem abwesenden Blick unsichtbar. Ihre Gemütsverwirrung war jedoch nicht von Dauer; nachdem sich ihre Augen von der Betrachtung der Finsternis draussen losgelöst hatten, wurde sie sich allmählich seiner Anwesenheit bewusst und entdeckte, wer sie im Arme hielt.
»Ach, bist du wirklich einmal gekommen, Edgar Linton?« sagte sie in zorniger Erregung. »Du bist eines von den Geschöpfen, die immer da sind, wenn sie am wenigsten gebraucht werden, und nie, wenn man sie nötig hat. Ich glaube, es wird jetzt viele Klagen geben — ja, das wird es —, aber sie können mich nicht mehr vor meiner engen Heimstätte dort unten bewahren, meinem Ruheplatz, der mich aufnehmen wird, ehe der Frühling vorbei ist. Dort ist er: bedenke es wohl, nicht bei den Lintons unter dem Kirchendach, sondern unter freiem Himmel, mit einem Grabstein, und du kannst wählen, ob du zu ihnen gehen oder zu mir kommen willst.«
»Catherine, was hast du getan?« begann der Herr. »Bin ich dir gar nichts mehr? Liebst du diesen elenden Heath…«
»Schweig!« schrie Mrs. Linton. »Schweig augenblicklich! Wenn du diesen Namen aussprichst, dann mache ich durch einen Sprung aus dem Fenster sofort ein Ende. Was du jetzt im Arm hast, magst du haben, aber meine Seele wird oben auf jenem Hügel sein, bevor du wieder von mir Besitz ergreifen kannst. Ich brauche dich nicht, Edgar, die Zeit ist vorbei, da ich dich nötig hatte. Kehre zu deinen Büchern zurück. Ich freue mich, dass du einen Trost an ihnen hast; denn was dir von mir gehörte, ist nicht mehr.«
»Sie phantasiert«, warf ich ein. »Sie hat den ganzen Abend Unsinn geredet; aber lassen Sie ihr Ruhe und richtige Pflege zuteil werden, dann wird sie sich erholen. — Wir müssen uns nur in Zukunft davor hüten, sie aufzuregen.«
»Ich wünsche keine Ratschläge mehr von dir« antwortete Mr. Linton. »Du kanntest deine Herrin und hast mich noch ermutigt, sie zu quälen. Mir keine einzige Andeutung zu machen, wie sie diese drei Tage zugebracht hat, das war herzlos. Monatelange Krankheit hätte nicht solche Veränderung verursachen können.«
Ich fing an, mich zu verteidigen; denn ich fand es unrecht, dass ich für die böse Launenhaftigkeit einer anderen büssen sollte.
»Mrs. Linton war immer halsstarrig und herrschsüchtig!« rief ich, »aber ich wusste nicht, dass Sie ihre Leidenschaftlichkeit noch begünstigen wollen. Ich wusste nicht, dass ich ihr zuliebe Heathcliff gegenüber ein Auge
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