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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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ich würde meinen, ich bin unter der Felsenklippe von Penistone; dabei weiss ich, dass es Nacht ist und dass auf dem Tisch zwei Kerzen brennen, die den schwarzen Schrank wie Jett glänzen lassen.«
    »Den schwarzen Schrank? Wo ist der?« fragte ich. »Sie sprechen im Schlaf.«
    »An der Wand, wo er immer ist«, entgegnete sie. »Das scheint seltsam — ich sehe ein Gesicht darin!«
    »Es ist kein Schrank im Zimmer, und es war nie einer da«, sagte ich, nahm meinen Platz wieder ein und steckte den Vorhang auf, damit ich sie beobachten konnte.
    »Siehst du das Gesicht nicht?« fragte sie und blickte ernsthaft in den Spiegel.
    Ich konnte sagen, was ich wollte, es gelang mir nicht, ihr begreiflich zu machen, dass es ihr eigenes war; darum stand ich auf und bedeckte den Spiegel mit einem Tuch.
    »Es ist immer noch dahinter«, fuhr sie unruhig fort. »Und es hat sich bewegt. Wer ist das? Hoffentlich kommt es nicht heraus, wenn du fortgegangen bist. O Nelly, in diesem Zimmer spukt es! Ich habe Angst, allein zu bleiben.«
    Ich nahm ihre Hand in meine und bat sie, sich zu beruhigen; denn ein Schauer nach dem anderen schüttelte sie, und sie sah immer wieder angestrengt nach dem Spiegel.
    »Es ist niemand hier«, beharrte ich. »Sie selbst sind da im Spiegel, Mrs. Linton; vor einer Weile wussten Sie es noch.«
    »Ich selbst«, keuchte sie, »und die Uhr schlägt zwölf! Es ist also wahr. Das ist furchtbar!«
    Ihre Finger krampften sich in die Laken und zogen sie über ihr Gesicht. Ich versuchte mich zur Tür zu stehlen, um Mr. Linton heraufzurufen; doch wurde ich von einem schrillen Schrei zurückgerufen: das Tuch war vom Spiegelrahmen herabgeglitten.
    »Was ist denn los?« rief ich. »Wer wird so ängstlich sein! Wachen Sie auf! Das ist der Spiegel, der Spiegel, Mrs. Linton, und Sie sehen sich darin; und hier stehe ich, neben Ihnen.«
    Zitternd und verwirrt hielt sie mich fest, doch allmählich wich das Entsetzen aus ihrem bleichen Gesicht und machte einer Schamröte Platz.
    »Du liebe Güte! Eben noch glaubte ich, ich wäre zu Hause«, seufzte sie. »Ich dachte, ich läge in meinem Zimmer in Wuthering Heights. Weil ich so schwach bin, haben sich meine Gedanken verwirrt, und ich habe wohl sogar geschrien. Sprich nicht, aber bleibe bei mir. Ich fürchte mich vor dem Schlaf und vor meinen Träumen.«
    »Ein fester Schlaf würde Ihnen guttun, gnädige Frau«, antwortete ich, »ich hoffe, Ihr Zustand wird Sie für immer von dem Wunsche, zu verhungern, heilen.«
    »Oh, wenn ich nur in meinem eigenen Bett im alten Hause läge!« jammerte sie und rang die Hände. »Und wie der Wind in den Föhren am Fenstergitter rauscht! Lass mich ihn spüren — er kommt geradenwegs vom Moor — lass mich ein wenig davon einatmen.«
    Um sie zu beruhigen, hielt ich das Fenster einige Sekunden lang offen. Ein kalter Windstoß fuhr herein; ich schloss das Fenster wieder und kehrte an meinen Platz zurück. Sie lag jetzt still, ihr Gesicht in Tränen gebadet. Körperliche Erschöpfung hatte auch ihrem Geist alle Kraft genommen. Unsere feurige Catherine war nur noch ein jammerndes Kind. »Wie lange ist es her, seit ich mich hier eingeschlossen habe?« fragte sie, plötzlich wieder auflebend.
    »Am Montag abend war es«, erwiderte ich, »und jetzt haben wir Donnerstag nacht oder vielmehr Freitag früh.«
    »Was, noch dieselbe Woche?« rief sie aus. »Nur so kurze Zeit?«
    »Lang genug, wenn man nur von kaltem Wasser und schlechter Laune lebt«, bemerkte ich.
    »Mir scheint es eine endlose Zahl von Stunden«, murmelte sie ungläubig, »es muss länger sein. Ich erinnere mich, dass ich im Wohnzimmer war, nachdem sie sich gezankt hatten, dass Edgar mich grausam herausforderte und ich verzweifelt in dieses Zimmer lief. Kaum hatte ich die Tür verriegelt, wurde es mir schwarz vor den Augen, und ich fiel auf die Erde. Ich konnte Edgar nicht klarmachen, dass ich bestimmt wieder einen Anfall bekäme oder wahnsinnig würde, wenn er fortführe, mich zu quälen. Ich hatte die Herrschaft über meine Zunge und meine Gedanken verloren, und er ahnte vielleicht nichts von meiner Todesangst; mir blieb gerade noch so viel Verstand, vor ihm und seiner Stimme zu fliehen. Bevor ich so weit bei Besinnung war, dass ich sehen und hören konnte, dämmerte der Morgen. Nelly, ich will dir sagen, was ich gedacht habe, was mir wieder und wieder durch den Kopf ging, bis ich für meinen Verstand fürchtete. Als ich hier mit dem Kopf am Tischbein lag und meine Augen nur undeutlich das

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