Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
nie besuchen; wir sind für immer geschieden, und wenn sie mir einen Gefallen tun will, so soll sie den Schurken, den sie geheiratet hat, dazu überreden, ausser Landes zu gehen.«
»Werden Sie ihr nicht wenigstens ein Briefchen schreiben, Mr. Linton?« bat ich flehentlich.
»Nein«, antwortete er. »Es hat keinen Zweck. Meine Verbindung mit Heathcliffs Familie soll geradeso karg bemessen sein wie seine mit meiner Familie. Sie soll überhaupt nicht vorhanden sein.«
Mr. Edgars Kälte drückte mich ungemein nieder. Auf dem ganzen Weg von Thrushcross Grange zerbrach ich mir den Kopf, wie ich seinen Worten etwas mehr Wärme geben und seine Weigerung, Isabella zum Trost ein paar Zeilen zu schreiben, abschwächen könnte, wenn ich sie ausrichtete. Ich glaube, sie hielt schon seit dem Morgen Ausschau nach mir; ich sah sie durch das Fenstergitter blicken, als ich den Gartenweg entlangging, und nickte ihr zu; aber sie zog sich zurück, als fürchte sie, beobachtet zu werden. Ich trat ein, ohne zu klopfen. Welch düsteren, traurigen Anblick bot das einst so fröhliche Haus! Ich muss gestehen, an Stelle der jungen Dame hätte ich wenigstens den Herd gefegt und die Tische mit einem Staubtuch abgewischt. Aber sie war bereits von dem Geist der Vernachlässigung, der sie umgab, angesteckt worden. Ihr hübsches Gesicht war bleich und schlaff, ihre Haare nicht gelockt, ein paar Strähnen hingen lang herunter, andere waren liederlich um ihren Kopf geschlungen. Wahrscheinlich war sie seit gestern abend nicht aus den Kleidern gekommen. Hindley war nicht anwesend. Mr. Heathcliff saß an einem Tisch und blätterte in einem Notizbuch; aber er stand auf, als ich erschien, sagte ganz freundlich guten Tag und bot mir einen Stuhl an. Er war der einzige Mensch dort, der anständig wirkte, ja mir schien, er habe nie besser ausgesehen. So sehr hatten die Umstände die Stellung der beiden gewandelt, dass er einem Fremden, der Geburt und der Erziehung nach, als vornehmer Mann erschienen wäre und seine Frau als ausgesprochene kleine Schlampe. Sie kam lebhaft auf mich zu, um mich zu begrüssen, und streckte eine Hand aus, um den erwarteten Brief in Empfang zu nehmen. Ich schüttelte den Kopf. Sie wollte den Wink nicht verstehen, sondern folgte mir zu einem Seitentisch, auf den ich meine Haube legen wollte, und bestürmte mich im Flüsterton, ihr sofort zu geben, was ich mitgebracht hätte. Heathcliff erriet die Bedeutung ihres Verhaltens und sagte: »Wenn du etwas für Isabella hast — und zweifellos hast du etwas, Nelly —, dann gib es ihr. Du brauchst kein Geheimnis daraus zu machen; wir haben keine Geheimnisse voreinander.«
»Ich habe nichts«, erwiderte ich, denn ich hielt es für das beste, gleich die Wahrheit zu sagen. »Mein Herr hat mir aufgetragen, seiner Schwester zu sagen, dass sie im Augenblick weder einen Brief noch einen Besuch von ihm erwarten solle. Er lässt Ihnen, gnädige Frau, durch mich viele Grüsse und Wünsche für Ihr Wohlergehen überbringen und seine Verzeihung für den Kummer, den Sie ihm angetan haben. Doch meint er, dass von jetzt an der Verkehr zwischen seinem Hause und diesem hier aufhören müsse; wenn er fortgesetzt werde, käme nichts Gutes dabei heraus.«
Mrs. Heathcliffs Lippe zitterte ein wenig, und sie kehrte zu ihrem Platz am Fenster zurück. Ihr Mann kam zu mir herüber an den Kaminplatz und begann, mich über Catherine auszufragen. Ich erzählte ihm von ihrer Krankheit soviel, wie ich für richtig hielt; doch holte er durch ein Kreuzverhör fast alle Ereignisse aus mir heraus, die mit dem Ursprung ihrer Erkrankung zusammenhingen. Ich klagte sie an — und sie verdiente es —, dass sie selbst Schuld daran trüge, und sprach schließlich die Hoffnung aus, dass er Mr. Lintons Beispiel folgen und in Zukunft alle Einmischung seiner Familie, sei es im Guten oder Bösen, vermeiden werde.
»Mrs. Linton befindet sich jetzt endlich auf dem Wege der Besserung«, sagte ich, »sie wird nie wieder die alte werden, aber ihr Leben ist wenigstens gerettet, und wenn Sie wirklich etwas für sie fühlen, dann vermeiden Sie es, ihren Weg wieder zu kreuzen, ja, dann ziehen Sie fort aus diesem Land. Damit es Ihnen leichter fällt, will ich Ihnen sagen, dass Catherine Linton genauso verschieden von Ihrer alten Freundin Catherine Earnshaw ist wie ich von dieser jungen Dame. Ihre äussere Erscheinung ist sehr verändert, ihr Charakter noch mehr, und der Mann, der gezwungen ist, ihr Lebensgefährte zu sein, kann seine
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