Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
Zuneigung nur durch die Erinnerung an das, was sie einstmals war, aufrechterhalten, aus Menschlichkeit und Pflichtgefühl.«
»Das ist schon möglich«, bemerkte Heathcliff, der sich zwang, ruhig zu scheinen, »schon möglich, dass dein Herr nur Menschlichkeit und Pflichtgefühl besitzt, auf die er sich berufen kann. Aber bildest du dir ein, ich werde Catherine seinem Pflichtgefühl und seiner Menschlichkeit überlassen? Und kannst du meine Gefühle für Catherine mit den seinen vergleichen? Bevor du dieses Haus verlässt, fordere ich von dir das Versprechen, dass du mir eine Unterredung mit ihr verschaffst. Einerlei, ob du einwilligst oder nicht — ich werde sie sehen. Was hast du dazu zu sagen?«
»Mr. Heathcliff«, erwiderte ich, »ich sage, Sie dürfen es nicht, und ich werde Ihnen auf keinen Fall dazu verhelfen. Noch ein Zusammentreffen zwischen Ihnen und dem Herrn würde sie bestimmt töten.«
»Mit deiner Hilfe kann das vermieden werden«, fuhr er fort, »und wenn die Gefahr eines solchen Ereignisses bestünde, wenn er die Veranlassung dazu wäre, dass ihrem Dasein noch ein einziger Schmerz zugefügt würde, nun, dann wäre ich wohl gerechtfertigt, wenn ich es zum Äussersten kommen ließe. Ich wollte, du wärst aufrichtig genug, mir zu sagen, ob Catherine sehr unter seinem Verlust leiden würde; nur die Befürchtung, dass sie es täte, hält mich zurück. Daran kannst du die Verschiedenheit unserer Gefühle erkennen: Wäre er an meiner und ich an seiner Stelle gewesen, ich hätte nie die Hand gegen ihn erhoben, auch dann nicht, wenn mein Hass so stark gewesen wäre, dass er mir das Leben in Galle verwandelt hätte. Du kannst mich ungläubig ansehen, wenn es dir beliebt. Ich hätte sie nie seiner Gesellschaft beraubt, solange sie danach verlangt hätte. Im Augenblick, da ihre Liebe aufgehört hätte, würde ich ihm das Herz aus dem Leibe gerissen und sein Blut getrunken haben. Aber bis dahin — wenn du mir nicht glaubst, kennst du mich nicht —, bis dahin wäre ich lieber langsam gestorben, als dass ich ihm nur ein Haar gekrümmt hätte.«
»Und doch«, unterbrach ich ihn, »haben Sie keine Bedenken, alle Hoffnungen auf ihre völlige Wiederherstellung zu vernichten, indem Sie sich in ihr Gedächtnis eindrängen und sie in einen neuen Aufruhr von Zwietracht und Trübsal stürzen, jetzt, wo sie Sie fast vergessen hat?«
»Du glaubst, sie hätte mich fast vergessen?« sagte er. »O Nelly, du weisst genau, dass das nicht der Fall ist. Du weisst so gut wie ich, dass sie für jeden Gedanken, den sie Linton schenkt, tausend für mich hat. In einer sehr elenden Zeit meines Lebens musste ich selbst glauben, dass sie mich vergessen hätte. Noch als ich vorigen Sommer in diese Gegend zurückkehrte, verfolgte mich diese Vorstellung; jetzt aber könnten nur ihre eigenen Worte diesen schrecklichen Gedanken wieder in mir aufkommen lassen. Und dann würden weder Linton und Hindley noch all die Träume, die ich je geträumt habe, etwas bedeuten. Zwei Worte würden meine Zukunft in sich fassen: Tod und Hölle; denn das Dasein, wenn ich sie verloren hätte, wäre Hölle. Ich war ein Narr, auch nur einen Augenblick zu glauben, dass sie Edgar Lintons Zuneigung höher einschätze als meine. Wenn er sie mit allen Fasern seines kläglichen Seins lieben würde, könnte er ihr in achtzig Jahren nicht soviel Liebe geben wie ich an einem Tag. Und Catherines Herz ist ebenso tief wie meines; sowenig wie der Futtertrog dort das Meer in sich fassen kann, so wenig kann Linton ihre ganze Liebe für sich beanspruchen. Pah, er ist ihr kaum teurer als ihr Hund oder ihr Pferd! Es steckt nicht in ihm, so geliebt zu werden wie ich, und wie kann sie etwas in ihm lieben, was er nicht hat?«
»Catherine und Edgar lieben sich so, wie sich zwei Menschen nur lieben können!« rief Isabella mit plötzlicher Lebhaftigkeit. »Niemand hat das Recht, so von ihnen zu sprechen, und ich darf nicht ruhig mit anhören, wie mein Bruder hinter seinem Rücken herabgesetzt wird!«
»Dein Bruder hat auch dich erstaunlich lieb, nicht wahr?« bemerkte Heathcliff höhnisch. »Er überlässt dich mit überraschender Bereitwilligkeit deinem Schicksal.«
»Er weiss nicht, was ich auszustehen habe«, entgegnete sie. »Das habe ich ihm nicht berichtet.«
»Du hast ihm also etwas berichtet; du hast geschrieben, ja?«
»Um ihm mitzuteilen, dass ich geheiratet habe, habe ich geschrieben. Du hast den Brief gesehen.«
»Und seitdem nichts?«
»Nein.«
»Meine junge
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