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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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hing.
    ›Sie ist ohnmächtig oder tot‹, dachte ich. ›Um so besser. Viel besser, sie wäre tot, als dass sie langsam dahinsiecht, eine Last und eine Qual für ihre Umgebung.‹
    Edgar stürzte auf den ungebetenen Gast zu, totenbleich vor Schreck und Wut. Was er zu tun beabsichtigte, kann ich nicht sagen; jedenfalls brach der andere allen Ausbrüchen sofort die Spitze ab, indem er die leblos scheinende Gestalt in seine Arme legte.
    »Sehen Sie her«, sagte er. »Wenn Sie kein Unmensch sind, helfen Sie zuerst ihr, dann sollen Sie mit mir reden.«
    Er ging ins Wohnzimmer und setzte sich hin. Mr. Linton rief mich herbei, und mit großer Mühe gelang es uns, nachdem wir allerlei Mittel versucht hatten, sie ins Bewusstsein zurückzurufen, aber sie war vollkommen verwirrt, seufzte und stöhnte und erkannte niemand. In seiner Angst um sie vergaß Edgar ihren verhassten Freund. Ich nicht. Bei der ersten Gelegenheit ging ich und bat ihn dringend, fortzugehen. Ich versicherte ihm, dass es Catherine besser ginge und dass er am anderen Morgen von mir hören sollte, wie sie die Nacht verbracht hätte.
    »Ich werde mich nicht weigern, das Haus zu verlassen«, antwortete er, »aber ich werde im Garten bleiben, und, Nelly, denke daran, morgen dein Wort zu halten. Ich werde dort unter den Lärchen sein. Denk daran. Oder ich statte euch noch einen Besuch ab, ob nun Linton da ist oder nicht.«
    Er warf einen hastigen Blick durch die halbgeöffnete Tür des Zimmers, und als er sich vergewissert hatte, dass meine Worte offenbar der Wahrheit entsprachen, befreite er das Haus von seiner unseligen Gegenwart.
     
     
     

Sechzehntes Kapitel
    IN JENER NACHT, gegen zwölf Uhr, wurde die Catherine geboren, die Sie in Wuthering Heights gesehen haben: ein kümmerliches Siebenmonatskind, und zwei Stunden später starb die Mutter, ohne so viel Bewusstsein zurückerlangt zu haben, Heathcliff zu vermissen oder Edgar zu erkennen. Mr. Lintons Verzweiflung über seinen Verlust war zu schmerzlich, als dabei verweilen zu können. Die späteren Auswirkungen zeigten, wie tief der Kummer in ihm saß. Ich glaube, viel trug dazu bei, dass er ohne Erben blieb. Ich beklagte das, wenn ich das schwächliche, mutterlose Kind betrachtete, und machte dem alten Linton im stillen Vorwürfe, weil er sein Besitztum — wenn auch aus einer verständlichen Vorliebe — seiner eigenen Tochter gesichert hatte statt der seines Sohnes. Es war ein unwillkommenes Kind, das arme kleine Ding. Es hätte aus dem Leben hinschwinden können, und keiner hätte sich in den ersten Stunden seines Daseins etwas daraus gemacht. Wir haben die Vernachlässigung später wiedergutgemacht, aber sein Lebensanfang war so freudlos, wie sein Ende es wahrscheinlich sein wird.
    Der nächste Morgen brach strahlend und heiter an, drang, durch die Vorhänge gedämpft, in das stille Gemach und übergoss das Sterbebett und die Gestalt darauf mit einem sanften, zärtlichen Licht. Edgar Linton hatte seinen Kopf auf das Kissen gelegt und die Augen geschlossen. Seine jungen, schönen Züge waren fast so totenbleich wie die der Gestalt neben ihm und fast ebenso starr; aber auf seinem Gesicht lag die Ruhe erschöpften Schmerzes, auf dem ihren die Ruhe vollkommenen Friedens. Ihre Stirn war geglättet, ihre Augen geschlossen, auf ihren Lippen lag ein Lächeln: kein Engel im Himmel konnte schöner sein als sie. Und ich hatte teil an der unendlichen Ruhe, die über ihr lag; nie war es mir feierlicher zumute gewesen als beim Anblick dieses ungetrübten Bildes göttlichen Friedens. Unwillkürlich wiederholte ich die Worte, die sie wenige Stunden zuvor ausgesprochen hatte: ›Unvergleichlich weit und hoch über euch allen!‹ und fühlte: ob noch auf Erden oder schon im Himmel, ihr Geist ist daheim bei Gott.
    Ich weiss nicht, ob es nur meine Eigenart ist, aber ich bin eigentlich immer glücklich, sobald ich in einem Totenzimmer wache, wenn sich keine tobenden oder verzweifelten Hinterbliebenen mit mir in das Amt teilen. Ich empfinde eine Ruhe, die weder Erde noch Hölle stören kann, und spüre den Glauben an das unendliche und schattenlose Jenseits, die Ewigkeit, in die die Toten eingegangen sind, wo alles grenzenlos ist: die Dauer des Lebens, die Kraft der Liebe und das Maß an Freude. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich, wieviel Selbstsucht selbst in einer Liebe sein kann, wie Linton sie hegte, sonst hätte er Catherines gesegnete Erlösung nicht so betrauern können. Gewiss, man konnte im Zweifel darüber

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