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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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zurückerlangt; sie erkannte keinen, seit Sie sie verlassen hatten«, sagte ich. »Sie liegt da, mit einem süssen Lächeln auf dem Gesicht, und ihre letzten Gedanken wanderten zu früheren, schönen Zeiten zurück. Ihr Leben endete in einem freundlichen Traum. Möge sie in jener anderen Welt ebenso angenehm erwachen!«
    »Möge sie in Höllenqualen erwachen!« schrie er mit furchtbarer Heftigkeit, stampfte mit dem Fuß und stöhnte in einem plötzlichen Anfall unbeherrschter Leidenschaft. »Oh, sie hat bis zum Schluss gelogen! Wo ist sie? Nicht dort, nicht im Himmel, nicht in der Verdammnis, wo? Oh, du hast gesagt, du kümmertest dich nicht um meine Leiden. Und ich bete ein Gebet, ich wiederhole es, bis meine Zunge erstarrt: Catherine Earnshaw, mögest du keine Ruhe finden, solange ich am Leben bin! Du hast gesagt, ich hätte dich getötet — gut denn, verfolge mich! Die Ermordeten verfolgen ihre Mörder. Ich glaube, nein, ich weiss, dass Geister auf Erden gewandelt sind. Sei immer um mich, nimm jede Gestalt an, treibe mich zum Wahnsinn, nur lass mich nicht in diesem Abgrund, wo ich dich nicht finden kann. O Gott, es ist unaussprechlich! Ich kann nicht leben ohne mein Leben! Ich kann nicht leben ohne meine Seele!«
    Er schlug mit dem Kopf gegen den knorrigen Baumstamm, verdrehte die Augen und heulte, nicht wie ein Mensch, sondern wie ein wildes Tier, das mit Messern und Speeren zu Tode gehetzt wird. Ich bemerkte mehrere Blutspritzer auf der Rinde des Baumes, und seine Hand und seine Stirn wiesen beide Flecken auf. Wahrscheinlich war das Schauspiel, dessen Zeuge ich war, eine Wiederholung ähnlicher Szenen, die sich in der Nacht abgespielt hatten. Ich konnte kaum Mitleid aufbringen, er stiess mich ab; und doch widerstrebte es mir, ihn so zu verlassen. Aber sobald er sich so weit in der Gewalt hatte, dass er bemerkte, wie ich ihn beobachtete, donnerte er mir den Befehl zu, ich solle gehen, und ich gehorchte. Es lag nicht in meiner Kraft, ihn zu beruhigen oder zu trösten.
    Mrs. Lintons Begräbnis sollte an dem Freitag, der ihrem Hinscheiden folgte, stattfinden; bis dahin blieb ihr Sarg offen und mit Blumen und duftigen Blättern bedeckt im großen Wohnzimmer stehen. Linton verbrachte seine Tage und Nächte dort, ein schlafloser Wächter, und — ein Umstand, der allen ausser mir verborgen war — Heathcliff verbrachte zum mindesten seine Nächte draussen, ebenfalls ohne Schlaf. Ich stand in keiner Verbindung mit ihm, doch war mir seine Absicht bewusst, hereinzukommen, sobald er konnte. Am Dienstag, kurz nach Dunkelwerden, als sich mein Herr, von Müdigkeit überwältigt, gezwungen sah, sich auf ein paar Stunden zurückzuziehen, ging ich und öffnete für Heathcliff, durch seine Ausdauer gerührt, eines der Fenster, um ihm die Möglichkeit zu geben, dem dahinwelkenden Bild der Angebeteten einen letzten Abschiedsblick zu schenken. Er verfehlte nicht, schnell und vorsichtig die Gelegenheit zu benutzen, so vorsichtig, dass nicht das leiseste Geräusch seine Gegenwart verriet. Ja nicht einmal ich würde entdeckt haben, dass er dagewesen war, wenn nicht das Laken neben dem Gesicht der Toten verschoben gewesen wäre und wenn ich nicht auf dem Fußboden eine blonde Haarlocke bemerkt hätte, die mit einem silbernen Faden zusammengebunden war. Bei genauerer Prüfung stellte ich fest, dass sie einem Medaillon entnommen war, das an Catherines Hals hing. Heathcliff hatte das Schmuckstück geöffnet, seinen Inhalt entfernt und ihn durch eine schwarze Locke von sich ersetzt. Ich flocht beide Locken zusammen und verschloss sie in dem Medaillon.
    Mr. Earnshaw war natürlich eingeladen worden, die sterblichen Reste seiner Schwester zum Grabe zu geleiten. Er schickte keine Entschuldigung, aber er kam auch nicht, so dass die Leidtragenden neben Mr. Linton nur der Pächter und das Gesinde waren. Isabella war nicht aufgefordert worden.
    Catherines letzte Ruhestätte befand sich, zum Erstaunen der Dorfleute, weder in der Kirche, unter der gemeisselten Gedenktafel der Lintons, noch draussen bei den Gräbern ihrer eigenen Familie. Sie liegt an einem grünen Abhang in einem Winkel des Kirchhofes, wo die Mauer so niedrig ist, dass Heidekraut und Heidelbeerpflanzen vom Moor her darüber weggeklettert sind, und ist fast in der Torferde verschwunden. Catherines Gatte ruht jetzt an derselben Stelle, und jedes von ihnen hat am Kopfende einen schlichten Grabstein und zu Füssen einen glatten grauen Klotz, um die Gräber kenntlich zu

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