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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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behauptete, dass, wenn die Wahrheit bekannt würde, Hareton nicht viel besser als ein Bettler dastünde.
    »Sein Vater war verschuldet, als er starb«, sagte er, »die ganze Besitzung ist mit Hypotheken belastet, und die einzige Aussicht für den natürlichen Erben besteht darin, im Herzen des Gläubigers so viel Teilnahme zu erwecken, dass der bereit ist, glimpflich mit ihm zu verfahren.«
    Als ich auf das Gut kam, erklärte ich, ich sei gekommen, um dafür zu sorgen, dass alles, wie es sich gehöre, vonstatten gehe, und Joseph, der ziemlich verzweifelt schien, war sehr erleichtert über meine Anwesenheit. Mr. Heathcliff sagte zwar, er sähe nicht ein, wozu ich nötig sei; aber ich könne bleiben und die Vorbereitungen für das Leichenbegängnis treffen, wenn ich wolle.
    »Von Rechts wegen«, meinte er, »sollte der Leichnam dieses Narren ohne irgendwelche Feierlichkeiten am Kreuzwege verscharrt werden. Als ich ihn gestern nachmittag zehn Minuten allein ließ, hat er in dieser Zeit die beiden Türen des Hauses vor mir verschlossen und hat die Nacht damit zugebracht, sich vorsätzlich zu Tode zu trinken. Heute früh haben wir die Tür erbrochen, denn wir hörten, dass er wie ein Pferd schnaufte, und da lag er quer über der Bank; man hätte ihn schinden und skalpieren können, er wäre nicht erwacht. Ich schickte nach Kenneth, und er kam, aber erst, als das Vieh krepiert war: er war tot, kalt und steif; du wirst zugeben, dass es keinen Zweck hat, großes Aufheben um ihn zu machen.«
    Der alte Knecht bestätigte diesen Bericht, aber er brummelte: »Ich hätt gewollt, er wär selber zu’n Dokter gegangen. Ich hätt besser auf’n Herrn gepasst als er; un er war nich tot, als ich fort bin, nich die Spur.«
    Ich bestand darauf, dass das Leichenbegängnis würdig verlief. Mr. Heathcliff sagte, ich könne auch darin freie Hand haben, nur bat er mich, zu bedenken, dass das Geld für die ganze Sache aus seiner Tasche käme. Er trug ein schroffes, unbekümmertes Wesen zur Schau, das weder Freude noch Kummer offenbarte, höchstens drückte es eine kalte Befriedigung darüber aus, ein schweres Stück Arbeit erfolgreich zu Ende geführt zu haben. Einmal allerdings beobachtete ich etwas wie Frohlocken in seinen Zügen, das war in dem Augenblick, als die Männer den Sarg aus dem Hause trugen. Er konnte sich so gut verstellen, dass er den Leidtragenden spielte, und bevor er mit Hareton dem Sarge folgte, hob er das unglückselige Kind auf den Tisch und murmelte mit eigentümlicher Betonung: »Nun, mein Bürschchen, gehörst du mir. Und wir wollen doch sehen, ob nicht ein Baum ebenso krumm wird wie der andere, wenn der gleiche Wind ihn peitscht.« Dem arglosen Jungen gefiel die Rede, er spielte mit Heathcliffs Schnurrbart und patschte ihn auf die Wangen; aber ich erriet die Bedeutung und bemerkte scharf: »Dieser Junge soll mit mir nach Thrushcross Grange kommen, Herr. Nichts in der Welt gehört Ihnen weniger als er.«
    »Sagt das Linton?« fragte er.
    »Selbstverständlich, er hat mir aufgetragen, ihn mitzunehmen«, erwiderte ich.
    »Schön«, sagte der Schurke, »wir wollen jetzt nicht über diese Dinge streiten; aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, einen jungen Menschen aufzuziehen. Darum gib deinem Herrn zu verstehen, dass ich meinen Sohn an seine Stelle setzen würde, wenn er versuchen sollte, ihn mir zu nehmen. Ich beabsichtige nicht, mir Hareton ohne Widerspruch nehmen zu lassen; aber wenn es geschähe, dann würde ich mir den anderen ganz sicher herholen. Vergiss nicht, ihm das zu sagen.«
    Dieser Hinweis genügte, uns die Hände zu binden. Bei meiner Rückkehr wiederholte ich die Worte, und Edgar Linton, der von Anfang an wenig Interesse gezeigt hatte, sprach nicht weiter davon, sich einzumischen. Ich glaube nicht, dass er es mit irgendwelchem Erfolg hätte tun können, auch wenn er noch so gern gewollt hätte.
    Der Gast war nun der Herr von Wuthering Heights, das er mit fester Hand in Besitz nahm. Er bewies dem Rechtsanwalt, der es seinerseits Mr. Linton mitteilte, dass Earnshaw jeden Zollbreit Landes, das er besaß, gegen Bargeld verpfändet hatte, um seiner Spielleidenschaft frönen zu können, und er, Heathcliff, war der Gläubiger. Auf diese Weise wurde Hareton, der sonst jetzt der erste Edelmann der Gegend wäre, in ein vollkommenes Abhängigkeitsverhältnis zu dem hartnäckigsten Feind seines Vaters gebracht. Er lebt in seinem eigenen Haus wie ein Knecht, der nicht einmal Lohn erhält, und ist nicht imstande, sich

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