Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
hintragen.«
Eine der Mägde, die die Feengrotte erwähnte, setzte ihr vollends den Wunsch in den Kopf, dorthin zu gehen; sie quälte Mr. Linton damit, bis er ihr den Ausflug für später versprach, wenn sie älter sein werde. Aber Miss Catherine maß ihr Alter nach Monaten, und ihre ständige Frage war: »Bin ich nun alt genug, nach der Felsklippe von Penistone zu gehen?«
Der Weg dorthin führte nah an Wuthering Heights vorbei. Edgar hatte nicht den Mut, ihn zu betreten, deshalb erhielt sie immer wieder die Antwort: »Noch nicht, Liebling, noch nicht.«
Ich sagte schon, dass Mrs. Heathcliff, nachdem sie ihren Gatten verlassen hatte, noch etwa zwölf Jahre lebte. Die Menschen ihrer Familie waren zarte Naturen; auch den Geschwistern Isabella und Edgar mangelte die robuste Gesundheit, die man im allgemeinen bei Bewohnern dieser Gegend antrifft. Woran sie gelitten hat, weiss ich nicht genau, aber ich glaube, sie sind beide an der gleichen Krankheit gestorben: sie litten an einer Art Fieber, anfänglich schleichend, aber unheilbar, das zum Schluss die Lebenskraft mit rasender Schnelligkeit verzehrte. Sie schrieb ihrem Bruder, um ihn auf das voraussichtliche Ende ihrer Krankheit, an der sie vier Monate lang gelitten hatte, vorzubereiten. Sie flehte ihn an, wenn irgend möglich, zu ihr zu kommen; denn sie hatte noch vieles zu ordnen und wünschte, von ihm Abschied zu nehmen und ihren Sohn wohlbehalten seiner Obhut zu übergeben. Sie hoffte, dass Linton bei ihm bleiben könne, wie er bisher bei ihr gewesen war, und versuchte sich einzureden, sein Vater werde keine Lust haben, die Last seines Unterhaltes und seiner Erziehung auf sich zu nehmen. Mein Herr zögerte keinen Augenblick, ihrer Bitte stattzugeben. Sosehr es ihm sonst widerstrebte, auf gewöhnliche Aufforderungen hin sein Haus zu verlassen, so eilig hatte er es, diesem Ruf zu folgen. Er empfahl Catherine meiner besonderen Wachsamkeit während seiner Abwesenheit und schärfte mir zu wiederholten Malen ein, dass sie den Park auch nicht unter meinem Schutz verlassen dürfe; denn damit, dass sie einmal allein fortgehen werde, rechnete er gar nicht.
Er blieb drei Wochen fort. Die ersten Tage saß mein Schützling in einer Ecke der Bibliothek, war zu traurig, um zu lesen oder zu spielen, und machte mir in dieser ruhigen Verfassung wenig Mühe. Doch bald folgte eine Zeit ungeduldigen, reizbaren Überdrusses, und da ich zu beschäftigt und auch schon zu alt war, um zu ihrem Vergnügen hin und her zu laufen, verfiel ich auf ein anderes Mittel, um ihr Abwechslung zu schaffen. Ich schickte sie auf Streifzüge durch das ganze Grundstück, manchmal zu Fuß, manchmal auf dem Pony, und lauschte, wenn sie zurückkehrte, geduldig dem Bericht von all den Abenteuern, die sie wirklich erlebt hatte oder sich auch nur einbildete.
Der Sommer prangte in voller Blüte, und sie fand solches Gefallen an diesen einsamen Streifereien, dass sie oft vom Frühstück bis zum Tee draussen blieb, und die Abendstunden vertrieben wir uns dann mit ihren phantastischen Geschichten. Ich hatte keine Angst, dass sie ausbrechen könnte, da die Pforten gewöhnlich geschlossen waren, und ich glaubte nicht, dass sie sich allein hinauswagen werde, selbst wenn sie weit offengestanden hätten. Unglücklicherweise war dieses Vertrauen nicht angebracht. Catherine kam eines Morgens um acht Uhr zu mir und sagte, sie sei heute ein arabischer Kaufherr, der mit seiner Karawane durch die Wüste ziehen wolle, und ich solle ihr reichlich Mundvorrat geben für sie selbst und die Tiere, ein Pferd und drei Kamele, dargestellt durch einen großen Jagdhund und zwei Vorstehhunde. Ich suchte einen ordentlichen Vorrat an Leckerbissen zusammen und packte sie in einen Korb an einer Seite des Sattels. Sie sprang fröhlich wie eine Elfe aufs Pferd, durch ihren breitkrempigen Hut und den Gazeschleier vor der Julisonne geschützt, und trabte mit vergnügtem Lachen davon; denn sie machte sich über meine ängstlichen Ratschläge, nicht zu galoppieren und bald zurückzukommen, lustig. Das ungehorsame Ding erschien nicht einmal zum Tee. Einer ihrer Gefährten, der Jagdhund, der ein altes Tier war und sein Behagen liebte, kam zurück, aber weder Cathy noch das Pony, noch die beiden Vorstehhunde waren irgendwo zu sehen, und ich schickte Boten auf diesem und jenem Wege aus und machte mich schließlich selbst auf die Suche nach ihr. Ich sah einen Arbeiter am Ende des Grundstücks an der Umzäunung einer Pflanzung arbeiten und fragte ihn,
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