Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
war. Sie waren beide liebevolle Ehemänner gewesen und hingen beide an ihren Kindern, und ich konnte nicht begreifen, warum sie nicht beide, im Guten wie im Bösen, den gleichen Weg hätten gehen können. Aber, so dachte ich bei mir, Hindley, offensichtlich der klügere Kopf, hatte sich betrüblicherweise als schlechterer und schwächerer Mensch erwiesen. Als sein Schiff auf Grund lief, verließ der Kapitän seinen Posten, und die Mannschaft, statt einen Versuch zur Rettung zu unternehmen, stürzte sich in Aufruhr und Verwirrung und beraubte das unglückliche Fahrzeug aller Hoffnung. Linton entfaltete im Gegensatz dazu den wahren Mut einer treuen und gläubigen Seele; er vertraute auf Gott, und Gott tröstete ihn. Der eine hoffte, der andere verzweifelte. Sie wählten jeder ihr eigenes Los und mussten es gerechterweise zu Ende tragen. Aber Sie wollen sicher meine moralischen Betrachtungen nicht hören, Mr. Lockwood, Sie werden diese Dinge ebensogut beurteilen können wie ich, zum mindesten werden Sie es glauben, und das kommt aufs gleiche hinaus. Earnshaws Ende war von der Art, wie es zu erwarten gewesen war; er folgte seiner Schwester bald, kaum ein halbes Jahr lag dazwischen. Wir in Thrushcross Grange erhielten nie einen klaren Bericht über die Zeit vor seinem Tode. Was ich hörte, als ich dort war, um bei den Vorbereitungen zum Leichenbegängnis zu helfen, war alles, was ich erfuhr. Mr. Kenneth kam, um meinem Herrn den Vorfall zu melden.
»Nun, Nelly«, sagte er, als er eines Morgens in den Hof geritten kam, so früh, dass mich eine plötzliche Vorahnung des kommenden Unheils schreckte, »jetzt haben wir beide Grund zum Trauern. Was glaubst du wohl, wer uns jetzt verlassen hat?«
»Wer denn?« fragte ich aufgeregt.
»Rate einmal«, erwiderte er, stieg vom Pferd und schlang die Zügel um einen Haken an der Tür. »Und nimm schon den Schürzenzipfel zur Hand, du wirst ihn bestimmt brauchen.«
»Doch nicht etwa Mr. Heathcliff«, rief ich aus.
»Was, würdest du für den Tränen haben?« sagte der Arzt. »Nein, Heathcliff ist ein zäher, junger Kerl, er sieht heute blühend aus, ich habe ihn soeben gesehen. Er ist sehr schnell wieder zu Kräften gekommen, seit er seine bessere Hälfte verloren hat.«
»Wer ist es dann, Mr. Kenneth?« wiederholte ich ungeduldig meine Frage.
»Hindley Earnshaw! Dein alter Freund Hindley«, antwortete er, »und mein schlimmer Kumpan, obwohl er mir schon seit einiger Zeit viel zu toll war. Siehst du, ich wusste, dass es Tränen geben werde. Aber tröste dich. Er starb, getreu seiner Art, betrunken wie ein Edelmann. Armer Kerl! Mir tut er auch leid. Man vermisst einen alten Gefährten doch, auch wenn er die übelsten Sprünge machte, die ein Mensch sich ausdenken kann, und mir manchen bösen Streich gespielt hat. Er war kaum siebenundzwanzig; das ist auch dein Alter, nicht wahr? Wer sollte meinen, dass ihr im gleichen Jahr geboren seid?«
Ich gestehe, diesen Schmerz empfand ich härter als den Schreck über Mrs. Lintons Tod. Kindheitserinnerungen umfingen mein Herz. Ich setzte mich in den Torweg und weinte wie um einen Blutsverwandten und bat Kenneth, einen anderen Bedienten zu suchen, um sich bei dem Herrn melden zu lassen. Ich musste immer wieder über die Frage nachgrübeln: ›War alles mit rechten Dingen zugegangen?‹ Dieser Gedanke beunruhigte mich bei allen meinen Beschäftigungen und wurde so hartnäckig quälend, dass ich beschloss, Urlaub zu erbitten und nach Wuthering Heights zu gehen, um dem Toten die letzten Dienste erweisen zu helfen. Mr. Linton widerstrebte es sehr, seine Einwilligung zu geben; aber ich schilderte ihm in beredten Worten, wie einsam und verlassen Hindley dort lag, und sagte ihm, mein ehemaliger Herr und Milchbruder habe ebenso großen Anspruch auf meine Dienste wie er selbst. Überdies erinnerte ich ihn daran, dass das Kind Hareton der Neffe seiner Frau war und er, da keine näheren Verwandten vorhanden waren, als sein Vormund handeln müsse; er solle und müsse Erkundigungen einziehen, wie es denn um die Hinterlassenschaft bestellt sei, und er müsse die Interessen seines Schwagers wahrnehmen. Er war damals nicht imstande, sich um solche Angelegenheiten zu kümmern, aber er bat mich, mit seinem Rechtsanwalt zu sprechen, und gestattete mir schließlich, zu gehen. Sein Rechtsanwalt war auch der Earnshaws gewesen; ich sprach im Dorf bei ihm vor und bat ihn, mich zu begleiten. Er schüttelte den Kopf und riet, Heathcliff in Ruhe zu lassen; denn er
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