Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
immer in der Hölle zu wohnen, als auch nur eine Nacht wieder unter dem Dach von Wuthering Heights zuzubringen.« –
Damit schloss Isabella ihren Bericht und nahm einen Schluck Tee. Dann erhob sie sich, ließ sich von mir die Haube und ein großes Umschlagtuch, das ich ihr gebracht hatte, umbinden, taub gegen meine Bitten, noch eine Stunde zu bleiben. Zuletzt stieg sie auf einen Stuhl, küsste Edgars und Catherines Bilder, küsste auch mich zum Abschied und ging hinunter zum Wagen, begleitet von Fanny, die vor Freude über ihre wiedergefundene Herrin laut bellte. Sie fuhr davon und kehrte niemals wieder in diese Gegend zurück; aber zwischen ihr und meinem Herrn entspann sich ein regelmäßiger Briefwechsel, als die Dinge zur Ruhe gekommen waren. Ich glaube, ihr neuer Aufenthaltsort war im Süden, nahe bei London, und dort gebar sie einige Monate nach ihrer Flucht einen Sohn. Er wurde Linton getauft und war, wie sie berichtete, von Anfang an ein kränkliches, jämmerliches Geschöpf.
Mr. Heathcliff, der mich eines Tages im Dorf traf, fragte, wo sie lebe. Ich weigerte mich, Auskunft zu geben. Er meinte, es sei nicht von Bedeutung, nur solle sie sich hüten, zu ihrem Bruder zurückzukommen; sie solle nicht bei ihm sein, wenn er für sie sorgen müsse. Obwohl ich keine Auskunft gab, wurde ihm durch jemanden vom Gesinde sowohl ihr Aufenthaltsort wie die Geburt des Kindes mitgeteilt. Trotzdem behelligte er sie nicht, und diese Zurückhaltung hatte sie wohl seiner Abneigung zu verdanken. Er fragte oft nach dem Kind, wenn er mich sah, und als er seinen Namen erfuhr, lächelte er grimmig und meinte: »Sie wünschen wohl, dass ich auch ihn hasse.«
»Ich glaube, sie wünschen nicht, dass Sie irgend etwas darüber erfahren«, antwortete ich.
»Aber ich werde ihn haben, wenn ich ihn brauche«, sagte er. »Damit sollen sie rechnen.«
Zum Glück starb seine Mutter, ehe diese Zeit kam; es war etwa dreizehn Jahre nach Catherines Hinscheiden, als Linton zwölf Jahre oder ein wenig älter war.
Am Tage nach Isabellas unerwartetem Besuch hatte ich keine Gelegenheit, mit meinem Herrn zu sprechen; er wich jeder Unterhaltung aus, und man konnte nichts mit ihm besprechen. Als er mich endlich anhörte, sah ich, dass die Nachricht ihn erleichterte, seine Schwester habe ihren Mann verlassen; denn er verabscheute ihn mit einer Heftigkeit, die seinem sanftmütigen Wesen zu widersprechen schien. So empfindlich war er und so tief war seine Abneigung, dass er es vermied, irgendwohin zu gehen, wo er möglicherweise Heathcliff hätte sehen oder von ihm hören können. Diese Scheu im Verein mit seinem Schmerz verwandelte ihn in einen ausgesprochenen Einsiedler, er legte sein Amt als Friedensrichter nieder, stellte sogar die Kirchenbesuche ein, mied das Dorf, wo er nur konnte, und führte innerhalb der Grenzen seines Parks und seiner Ländereien ein völlig abgeschlossenes Leben, das nur durch einsame Streifzüge durchs Moor und Besuche am Grabe seiner Frau unterbrochen wurde, und dies machte er fast immer abends oder am frühen Morgen, wenn noch niemand unterwegs war. Aber er war zu fromm, als dass er lange tief unglücklich sein konnte. Er betete nicht darum, dass Catherines Seele ihn verfolgen möge. Die Zeit brachte ihm Entsagung und eine Schwermut, süsser als alltägliche Freuden. Er pflegte die Erinnerung an sie mit inbrünstiger, zärtlicher Liebe und dem hoffenden Verlangen nach der besseren Welt, in die sie — daran zweifelte er nicht — eingegangen war. Und er hatte auch irdische Tröstungen und Neigungen. Ich erzählte Ihnen, dass er sich einige Tage um die winzige Nachfolgerin der Hingeschiedenen nicht zu kümmern schien; doch schmolz diese Kälte dahin wie Schnee im April, und ehe das kleine Ding ein Wort lallen oder ein schwankendes Schrittchen machen konnte, schwang es schon ein Tyrannenzepter in seinem Herzen. Es hiess Catherine; aber er nannte es nie bei vollem Namen, so wie er den Namen der ersten Catherine nie abgekürzt hatte, wahrscheinlich, weil Heathcliff die Gewohnheit hatte, das zu tun. Die Kleine war immer Cathy; das stellte für ihn sowohl eine Unterscheidung von der Mutter wie auch eine Verbindung mit ihr dar; seine Zuneigung entsprang viel mehr der Verwandtschaft des Kindes mit ihr als der Tatsache, dass es sein eigenes Fleisch und Blut war.
Ich pflegte Vergleiche zwischen ihm und Hindley Earnshaw anzustellen und mir den Kopf zu zerbrechen, warum ihr Verhalten unter den gleichen Umständen so grundverschieden
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