Emma - endlich vom Glück umarmt
Gedanken bei einer gewissen rotblonden jungen Dame.
Ebendiese Dame staunte gerade über sein Geschick, mit der Weiblichkeit umzugehen. Ohne sichtbare Mühe bezauberte er eine der wichtigsten Frauen der Londoner Gesellschaft. Wie konnte man erwarten, dass die unerfahrene Amy einem Mann widerstand, der eine Frau von Lady Jerseys Alter und Erfahrung um den Finger wickeln konnte?
Als er Lady Jersey zum Tanz führte, wäre Emma beinahe der Mund offen stehen geblieben. Er war wirklich unverfroren. Wenn die Gerüchte stimmten – und Emma hatte feststellen müssen, dass in fast jedem Gerücht ein Körnchen Wahrheit steckte –, ging er mit seinem Geld ebenso sorglos um wie mit Frauen.
Unfähig, den Blick abzuwenden, beobachtete sie das Paar. Was sie auch von dem Mann halten mochte, sie musste sich eingestehen, dass er unwiderstehlich aussah. Ihr entschlüpfte ein Seufzer. Für jemanden wie sie oder ihre Schwester war er nicht bestimmt.
Emma zwang ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Glättend strich sie über ihr lavendelblaues Abendkleid aus schwerer Seide, das sie nach dem Tod ihrer Mutter vor einigen Jahren erworben hatte, weil der schlicht-elegante Schnitt ihrer Halbtrauer angemessen war. Zwar entsprach es nicht der aktuellen Mode, doch glücklicherweise passte der dezente Farbton zu ihrem Teint und dem rotblonden Haar. Mehr Zugeständnisse machte sie allerdings nicht an ihr Aussehen. Bisher hatte sie auch nur einen Heiratsantrag bekommen, die Verlobung jedoch gelöst, als ihr Bräutigam ganz offen mit einer anderen Frau ein Verhältnis begann. Natürlich hielten viele Männer eine Mätresse aus, nur gingen sie üblicherweise diskreter vor als ihr damaliger Verlobter.
Insgeheim hatte Emma längst beschlossen, eine Stellung als Gouvernante anzutreten, sobald Amy respektabel verheiratet war. An Erziehung mangelte es ihr nicht, und sie würde für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen müssen, denn bis dahin hatten Vater und Bruder bestimmt den letzten Penny im Glücksspiel verschleudert.
Sie sah sich nach Amy um, und als sie sie inmitten einer Gruppe junger Leute entdeckte, die sich alle außerordentlich zu amüsieren schienen, beschloss sie, sich endlich eine Erfrischung zu gönnen.
Während sie sich ein Glas Punsch einschenkte, hörte sie, dass der Walzer endete. Ohne dass es ihr wirklich bewusst war, hielt sie im Ballsaal nach Charles Hawthorne Ausschau. Gerade verneigte er sich vor Lady Jersey und küsste ihr, die lachend zu ihm aufblickte, die Hand. Dann gesellte er sich der Gruppe um Amy zu. Das junge Mädchen empfing ihn sogleich mit einem strahlenden Lächeln. Amy mit ihren vollen roten Lippen, den blitzenden blauen Augen und den goldenen Locken schien im warmen Glanz der vielen Kerzen förmlich zu glühen. Hawthorne nahm ihre ihm dargebotene Hand und hob sie an seinen Mund.
Einen winzigen Moment hatte Emma die Illusion, als spürte sie den Druck seiner Lippen auf ihrer eigenen Haut, dann schüttelte sie das irritierende Gefühl ab und näherte sich dem Paar. Schließlich übte sie die Pflicht einer Anstandsdame aus. Doch leider musste sie machtlos zusehen, wie die beiden zur Tanzfläche schritten. Wütend biss sie sich auf die Lippe. Nun konnte sie nur noch abwarten – und ein Dankgebet sprechen, dass es zumindest kein Walzer war, der für eine junge Dame in ihrer ersten Saison als zu gewagt galt.
Ungeduldig klopfte sie mit der Fußspitze den Boden, während sie darauf wartete, ihre Schwester wieder in Empfang zu nehmen. Als die Musik dann verstummte, schritt das Paar jedoch zu einer der hohen Fenstertüren, die ins Freie führten. Wenn das nicht typisch Amy war! Oder auch Mr. Hawthorne! Wut flammte in Emma auf, weil ihre Vorschriften immer wieder von den beiden missachtet wurden. Sie würde das Paar nicht rechtzeitig einholen können, es würde viel länger als schicklich dort draußen allein sein. Wer weiß, ob sie es überhaupt fand, denn soweit sie sich erinnerte, war Lady Jerseys wunderschöner Garten sehr weitläufig.
Charles geleitete das kleine Biest hinaus in die kühle Nachtluft. Mit glänzenden Augen schaute Amy durch dichte lange Wimpern zu ihm auf, während ihr Lächeln ein Grübchen in ihre Wange zauberte. Natürlich hätte er ablehnen sollen, sie ohne Anstandsdame zu begleiten, doch Amy Stockton machte ihn neugierig. So erfahren er auch war – und er war außerordentlich erfahren –, gelang es ihr doch immer wieder, ihn mit ihrer ungebändigten Art zu amüsieren. Oft genug
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