Emma - endlich vom Glück umarmt
wachen oder sie am Bett festbinden. Der Gedanke zauberte dann doch ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Allerdings wird unvermeidlich irgendeine andere Unannehmlichkeit auf mich warten, dachte Emma. Denn Charles Hawthorne würde sein draufgängerisches Verhalten, was Amy betraf, gewiss nicht ändern. Er würde sie rücksichtslos kompromittieren, und Amy würde ganz naiv mitmachen.
Dafür stand jedoch viel zu viel auf dem Spiel. Ich darf Charles Hawthorne nicht gewähren lassen, muss ihn mit allen Mitteln aufhalten, schwor sich Emma. Nicht nur Amys persönliches Glück hing davon ab, dass sie sich gut verheiratete, sondern das Wohlergehen der ganzen Familie Stockton. Wenn sie ernstlich geglaubt hätte, ihre Schwester liebte Mr. Hawthorne, würde sie sich sofort bei ihrem Vater für die beiden verwendet haben. Sie kannte die Jüngere jedoch gut genug, um zu wissen, dass sie die Aufmerksamkeit des notorischen Lebemannes nur deshalb so genoss, weil alle Frauen der Gesellschaft ihn für unerreichbar hielten. Nein, Amy liebte Charles Hawthorne nicht, und er sie auch nicht. Deshalb hatte Emma keine Skrupel, diese Verbindung im Keim zu ersticken.
Nur was konnte sie tun?
Sie fuhr aus ihren Gedanken auf, als sie hörte, wie eine Tür geöffnet wurde. Wer war zu dieser Stunde noch wach? Auf dem bloßen Dielenboden hallten Schritte.
„Wer ist da?“
„Nur dein Bruder!“
Nun sah sie Bertrams hohe, hagere Gestalt, vom Kerzenlicht aus dem Zimmer hinter ihm scharf umrissen, in der Tür stehen. „Wo seid ihr gewesen? Ihr solltet so spät nicht unbegleitet unterwegs sein.“
Sein Tadel machte sie wütend. „Wir haben Lady Jerseys Ball besucht und kamen in einer Mietdroschke zurück, da wir keine eigene besitzen – aus Gründen, die dir sehr wohl bekannt sind. Und ich bin alt genug, um als Anstandsdame für Amy zu fungieren.“ Ihr Ärger wechselte jedoch zu Betroffenheit, als ihr einfiel, welche Auswirkungen Bertrams Anwesenheit haben könnte. „Was machst du überhaupt hier?“
Seine braunen Augen wichen den ihren aus, wie immer, wenn er log. Emma wusste nur zu gut, was ihn nach London trieb, nur würde sie nichts daran ändern können.
„Ich soll auf dich und Amy aufpassen. Vater kamen Gerüchte über Amy und Charles Hawthorne zu Ohren, und nach dieser Geschichte mit dir und dessen Bruder hielt Vater es für besser, mich herzuschicken. Schützende brüderliche Anwesenheit, du weißt schon. Übrigens ist der Bursche in unserer Familie nicht willkommen. Ein Frauenheld und Lebemann erster Güte! Wirklich nicht das, was wir für Amy wünschen.“
„Aber reich!“, sagte Emma mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Und das wäre doch sehr erwünscht.“
Selten nur verspürte Emma Bitterkeit wegen des Leichtsinns, den Bruder und Vater am Spieltisch walten ließen. Da ihr die Hände gebunden waren, versuchte sie einfach, die Schäden, die daraus entstanden, zu beseitigen. Ihre Mutter hätte es so gewollt.
Als Emma einmal mit Bertram wegen seiner Spielschulden gestritten hatte, weil der Familie dadurch so viele Einschränkungen erwuchsen, hatte ihre Mutter gemeint, manches bleibe um des lieben Friedens willen besser ungesagt und harte Worte änderten nichts, sondern machten nur das Zusammenleben zur Pein. Diesen Rat hatte Emma bis heute befolgt, wenn es ihr auch zeitweise sehr schwerfiel, ihren Zorn zu bezähmen.
Sie schloss die Augen kurz und zwang sich zur Ruhe.
„Deine Zunge ist heute Abend recht scharf, Schwester.“
„Ich bin müde und außerdem überrascht, dich hier zu sehen“, erklärte sie, nachdem sie einmal tief eingeatmet hatte. „Da du keine Nachricht schicktest, ist nichts vorbereitet.“
„Mrs. Murphy hat schon alles geregelt.“
„Wann kamst du an?“
„Vor einer Stunde, als ihr noch aus wart.“
„Also hast du sie geweckt?“
„Sicher.“ Er zuckte die Achseln. „Dafür hat man schließlich Bedienstete.“
„Aber nicht mehr viele. Wir mussten sogar schon einmal das Haus wechseln, und uns stehen nun weniger Räume zur Verfügung.“
„Noch dazu recht armselige.“
„Und woran liegt das wohl, lieber Bruder?“, fragte sie aufgebracht.
Zumindest errötete er schamvoll. „Mama kam immer irgendwie zurecht.“
Schuldbewusst dachte Emma daran, wie wunderbar ihre Mutter gewesen war. Sie hatte den Lebensstil der Familie aufrechterhalten, als ob sie immer noch ein beträchtliches Einkommen zur Verfügung hätte, obwohl der Besitz der Familie von mehreren Gütern schließlich auf nur ein
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