Emma - endlich vom Glück umarmt
Landgut, den Stammsitz der Stocktons, zusammengeschrumpft war. Bei jedem neuen Missgeschick pflegte sie lächelnd zu sagen: „Euer Papa ist eben impulsiv, aber er ist ein so liebevoller, großzügiger Mann.“ Das Gleiche sagte sie über Bertram, was auf ihn sogar in gewissem Maße zutraf. Dann schulterte sie lächelnd auch die nächste Bürde.
Nur die Erinnerung an ihre Mutter, die Gatten und Sohn trotz allem sehr geliebt hatte, brachte Emma dazu, durchzuhalten und nach Möglichkeit den Gläubigern stets einen Schritt voraus zu sein.
Nach Mamas Tod war jedoch alles nur schlimmer geworden. Vater und Sohn spielten völlig bedenkenlos.
„Mama hatte noch mehr Mittel zur Verfügung als ich“, antwortete Emma scharf.
„Wenn George Hawthorne sich dir gegenüber nicht so ehrlos verhalten hätte, wären wir nicht in dieser Lage. Du hättest auf der Heirat bestehen müssen“, jammerte Bertram anklagend.
Emma liebte ihren Bruder trotz seiner Fehler, doch nun sah sie ihn an und fragte sich, wo der muntere Junge geblieben war, der sie Fischen gelehrt und so manch verrücktes Abenteuer mit ihr durchgemacht hatte. Wann war er zu dem schwachen Mann geworden, der stets anderen die Schuld an seiner Situation gab? Bedauern stieg in ihr auf.
„Darüber diskutierten wir schon einmal, Bertram. Ich tat, was meiner Ansicht nach richtig war.“ Sie wollte diese fruchtlose Debatte nicht weiter fortführen. „Ich bin müde, ich gehe zu Bett.“
Noch während er den Mund zu einer Entgegnung öffnete, wandte sie sich ab und stieg hinauf zu ihrem Zimmer. Sie wollte nichts mehr hören. Der Tag morgen würde lang werden, wenn sie Amy die ganze Zeit am Rockzipfel hängen musste, dazu kam die Sorge wegen Bertrams Spielleidenschaft.
Emma saß über ihrer dritten Tasse Schokolade – beinahe der einzige Luxus, den sie sich noch gönnte –, als Gordon den Frühstücksraum betrat. Sie lächelte dem alten Mann zu, der seit vielen Jahren schon im Dienst der Stocktons stand, zuerst als Lakai, später als ihr Butler.
„Ja, Gordon?“
„Ms. Stockton, Sie baten uns, ein Auge auf Ms. Amy zu haben.“
Sorgfältig setzte Emma die Tasse ab und verschränkte die Hände im Schoß. Offensichtlich würde ihr das Folgende nicht gefallen. „Ja?“ Ihre Stimme blieb ruhig, obwohl sie am liebsten laut aufgeschrien hätte.
„Nun, sie hat gerade eines der Küchenmädchen auf eine Besorgung geschickt.“
„Und wissen Sie, worum es geht?“
Der Butler schüttelte sein graues Haupt. „Nein, Miss.“
„Wo ist Amy jetzt?“
„Sie ging wohl zurück in ihr Zimmer.“
„Sicher wieder ins Bett, denn es ist ja noch früh, bedenkt man, wann wir gestern heimkamen.“
Emma stand auf und fegte ein paar Brösel von ihrem schlichten schwarzen Kreppkleid, das sie nach dem Tod ihrer Mutter gekauft hatte. Es schmeichelte ihr zwar nicht, doch war es noch zu gut, um abgelegt zu werden.
„Danke, Gordon.“ Sie hatte schon den kleinen Vorraum durchquert und stieg die Treppe hinauf, blieb aber auf halbem Wege stehen. „Ist mein Bruder daheim?“
„Ja, Miss, ich glaube, er schläft noch.“ Er räusperte sich, ein Geräusch, das er unbewusst machte, wenn er sich verpflichtet fühlte, etwas anzusprechen, das ihm nicht leichtfiel.
Freundlich fragte Emma deshalb: „War mein Bruder bis in den Morgen aus?“
„Ja, Miss“, murmelte Gordon.
Sie war nicht überrascht, sondern hatte sogar erwartet, dass Bertram gestern Nacht noch einmal fortgehen würde.
„Nochmals danke, Gordon.“ Irgendwie gelang es ihr, ihm ein kleines Lächeln zu schenken. Dann erklomm sie die restlichen Stufen, langsam, aber hoch aufgerichtet, obwohl sie sich fühlte, als lastete das Gewicht der ganzen Welt auf ihr. Was sie gerade erfahren hatte, wunderte sie nicht. Bruder wie Schwester verhielten sich, genau wie es von ihnen zu erwarten war, nur was stets daraus folgte, machte ihr das Leben nur noch komplizierter.
Als sie damals Mama versprach, für die Familie einzustehen, hatte sie nicht geglaubt, dass es so schwierig werden würde.
Emma klopfte an Amys Tür und trat, ohne auf Antwort zu warten, ein. Ihre Schwester saß aufrecht im Bett; ihre Wangen waren rosig angehaucht, und ihre Augen funkelten. Zweifellos führte sie etwas im Schilde.
„Guten Morgen, Emma.“ Amy war ganz Unschuld.
„Guten Morgen, Amy. Ich hörte, du warst schon unten in der Küche.“
Das junge Mädchen errötete. „Ich habe mir einen Happen zu essen geholt.“
„Amy, lass doch diese Winkelzüge. Ich
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